Unsere Revolutionäre Perspektive auf Gewerkschaften

In diesem Text erklären wir unsere Beweggründe, warum wir am 1. Mai 2023 Arbeitskämpfe sichtbar machen und mit Gewerkschaften zusammenarbeiten wollen.

Sucht man nach einer gängigen Definition für den Begriff „Marxismus“, so wird man neben den prägenden Figuren (Marx und Engels) folgenden Aspekt finden: „Die Arbeiterklasse enteignet die Kapitalisten und das Eigentum an den Produktionsmitteln wird in Gesellschaftseigentum überführt.“ Zielvorstellung des Marxismus, so könnte man sagen, ist nichts weniger als der Umsturz der bestehenden kapitalistischen Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung. Der Umsturz der sozialen und gesellschaftlichen Ordnung soll durch die sog. Arbeiterbewegung vollzogen werden. Die Gewerkschaften sind im Grunde die erste feste Organisationsform der Arbeiterbewegung. Es haftet den Gewerkschaften doch die Funktionslogik des Kapitalismus an, den letztlich sind sie Teil der kapitalistischen Wirtschaftsordnung: Arbeitnehmerinteressen werden von den Gewerkschaften artikuliert und in Verhandlungen mit den Fabrikbesitzern oder durch Streiks erstritten. Gewerkschaften kämpfen also „innerhalb des Lohnsystems des Kapitalismus“ und tragen zur Verbesserung der Situation der Arbeiter bei. Nach der Ansicht vieler, sind die Gewerkschaften aber nicht der Motor des umfassenden sozialen und gesellschaftlichen Wandels wie von Einigen vermutet wurde. Wir wollen folgend kurz darstellen, wieso wir es wichtig finden mit Gewerkschaften zusammenzuarbeiten.

Bereits Rosa Luxemburg antwortete 1906 in „Massenstreik, Partei und Gewerkschaften“ auf den Vorschlag der Trennung von Partei und Gewerkschaften. Sie argumentierte, dass die ArbeiterInnen nicht in den Gewerkschaften zu politischen Überzeugungen gelangen, sondern aus politischer Überzeugung den Gewerkschaften beitreten.

Gewerkschaften sind politische Organe

Wir finden das ist heute noch so. Gewerkschaften, sowie deren Kämpe für “fairere Löhne”, sind politische Organe. Auch der Mitgliederschwund der Gewerkschaften hängt damit zusammen. Eben weil die bürokratischen Führungen der Gewerkschaften Kompromisse mit den Unternehmen aushandeln und dies, durch die SPD, auf politischer Ebene fortsetzen. Viele wenden sich deshalb von den Gewerkschaften ab und fallen, im ungünstigsten Fall, der rechten Demagogie zum Opfer, die die Gewerkschaften als Teil des Systems verurteilen, die lieber den Betrieb mit verwalten, statt sich ernsthaft für die Interessen der Beschäftigten einzusetzen.

Faire Löhne: Die Differenz zwischen dem Wert der Arbeitskraft (Lohn, variables Kapital), die von den „freien“ Lohnarbeitern verkauft wird, und dem insgesamt geschaffenen Wert, eignet sich der Kapitalist als Mehrwert an. Da sich der Kapitalist den durch die Arbeit geschaffenen Profit in die eigene Tasche steckt und den ArbeiterInnen einen Lohnvertrag unterbreitet um die Reproduktionskosten der Arbeitskraft zu decken, gibt es aus marxistischer Perspektive keinen fairen Lohn. Wenn allerdings ArbeiterInnen die Forderung nach höheren Löhnen artikulieren, dann ist die daraus resultierende Verbesserung ihrer Lebensumstände für uns als KommunistInnen ein realpolitisches Ziel für dass es sich zu kämpfen lohnt. Erfolge im Arbeits- und Betriebskampf sind notwendig um das Klassenbewusstsein aufzubauen, dies ist unerlässlich für revolutionäre Bestrebungen. Was “faire Löhne” im Kontext einer realpolitischen Forderung sind, entscheidet schlussendlich das kämpfende Proletariat.

Als MarxistInnen mit revolutionärem Anspruch ist es uns wichtig dort zu politisieren und zu informieren, wo die Massen sind. Die Massenarbeit ist eines der wichtigsten Betätigungsfelder eines Revolutionärs. Nicht nur ist sie ein Indiz dafür, wie nah sich die eigene Weltanschauung und die politische Praxis an der tatsächlichen Lebensrealität der Arbeiterklasse befinden. Die Massenarbeit bildet auch die notwendige Grundlage für jeden revolutionären Umbruch. Ohne die bedingungslose Unterstützung eines großen Teils der Bevölkerung lässt sich kein revolutionärer Aufbruch in einen stabilen, sich selbst erhaltenden Zustand überführen. Um diese Zustimmung der Bevölkerung zu bekommen, ist es wichtig unsere Inhalte aktiv an die arbeitenden Massen heranzutragen, diese zu diskutieren und unter dem Gesichtspunkt der aktuellen Lebensrealität aktiv gemeinsam weiterzuentwickeln. Um dies zu schaffen müssen wir in Kontakt mit der arbeitenden Klasse kommen und wie sollte das besser gehen als über Gewerkschaften. Dort versammeln sich ArbeiterInnen verschiedener Betriebe, Einrichtungen und Konzerne um zusammen für bessere Arbeitsbedingungen zu kämpfen.

Dieses Jahr wird das vor allem im Tarifkampf öffentlicher Dienst deutlich. Zusammen mit Ver.di legten die ArbeiterInnen der Leipziger Verkehrsbetriebe mal eben für mehrere Tage den öffentlichen Nahverkehr flach. Vor allem als es darum ging Fußballfans zum Stadion zu transportieren – sehr zum Ärger der Stadt Leipzig.

Sollten Revolutionäre in den reformistischen und von der Sozialdemokratie vereinnahmten Gewerkschaften arbeiten?

Leider kommt es innerhalb der revolutionären Linken Bewegung immer wieder zu der Frage rund um das Verhältnis zu den Gewerkschaften und der politischen Arbeit innerhalb derselben. Sollten Revolutionäre in den reformistischen und von der Sozialdemokratie vereinnahmten Gewerkschaften arbeiten? Wie kann eine solche Arbeit aussehen, wenn sie doch innerhalb des bürokratischen Gewerkschaftsapparats stattfinden soll? Kann man dort überhaupt revolutionäre Arbeit leisten?
Um diesen Fragen auf den Grund zu gehen, ist es jedoch zunächst nötig nachzuvollziehen, warum sich die Diskussion immer wieder am Thema der Gewerkschaften entzündet.

Grund dafür ist in erster Linie die Gewerkschaft als solches. Grundlegend betrachtet ist die Gewerkschaft die Organisation, in der sich ArbeiterInnen auf der Grundlage von Einheit und Solidarität als Klasse zusammenschließen, um unter den konkreten Bedingungen des Klassenkampfes ein Gegengewicht gegen die besitzende Klasse zu bilden. Auf dieser Grundlage verteidigt sich die Arbeiterklasse nicht nur gegen die fortwährenden Angriffe der Kapitalisten, sie geht auch zu direkten Angriffen auf die Kapitalistenklasse über, indem sie neben Verbesserungen der grundlegendsten Arbeitsbedingungen wie Lohn, Arbeitszeit und Urlaub, auch allgemeine Rechte erkämpft. Die Gewerkschaften entstanden aus konkreten Notwendigkeiten der Arbeiterklasse innerhalb des Klassenkampfes und stellen die grundlegendste Ebene der Arbeiterselbstorganisation dar.
Diese zentrale Rolle haben Gewerkschaften in Deutschland bis heute inne. Allein in den Gewerkschaften des DGB sind aktuell etwa 5,7 Millionen Arbeiter Mitglieder. Außerdem gibt es in den Reihen des DBB weitere 1,3 Millionen Gewerkschaftsmitglieder. Bei 45,7 Millionen Erwerbstätigen in Deutschland entspricht der Anteil der Gewerkschaftsmitglieder also über 15 Prozent. Darüber hinaus gibt es die Gewerkschaften Ver.di, IG Metall und einige weitere. Damit stellen Gewerkschaften in Deutschland beträchtliche Massenorganisationen dar, in denen (neben vereinzelten Beamtengewerkschaften) in allererster Linie die Arbeiterklasse organisiert ist.
Wer also einen Einfluss auf die Arbeiterklasse in Deutschland gewinnen möchte, der kommt um die Gewerkschaften nicht herum. Nicht nur sind die Gewerkschaften wie keine andere Organisation innerhalb der Arbeiterklasse verankert; durch ihren über 100 Jahre gewachsenen Apparat besitzen sie auch die notwendigen Mittel, um den Kampf der Arbeiterklasse auf möglichst vielen Ebenen zu unterstützen. Ein Beispiel dafür ist die Streikkasse der IG Metall, die nach äußeren Einschätzungen etwa ein Finanzvolumen von 596 Millionen Euro umfassen dürfte. Andere Beispiele abseits der finanziellen Mittel sind: eigene Publikationen, eigene Räumlichkeiten, eigene Bildungs- und Tagungsstätten, eine eigene Stiftung, eigene Hochschulen, eigene Rechtsabteilungen und vieles mehr. Allein aus dieser Aufzählung wird deutlich wie förderlich die Zusammenarbeit mit Gewerkschaften ist.

Es liegt nicht in unserer Hand, ob Klassenpolitik innerhalb der Gewerkschaft gemacht wird. Innerhalb der Gewerkschaften findet zwangsläufig Politik im Interesse einer Klasse statt. Worauf wir als MarxistInnen allerdings Einfluss nehmen können, ist in wessen Klasseninteresse Politik in Gewerkschaften gemacht wird. Momentan werden die Gewerkschaften ideologisch durch die Sozialdemokratie dominiert. Auf dieser Basis verstärkt sich vor allem der Bürokratismus, der Karrierismus und der Opportunismus im Allgemeinen. Diese schwächen die Kampffähigkeit der Gewerkschaften, sie untergraben den Klassengegensatz, sie kooperieren offen und vorsätzlich mit dem Kapital, sie marginalisieren die Gewerkschaften auf betrieblicher, politischer und gesellschaftlicher Ebene. Sich dieser Tatsachen bewusst zu sein und sich daraufhin „bewusst“ von den Gewerkschaften abzuwenden, ist jedoch nichts anderes, als vor den grundlegendsten Aufgaben und Konflikten eines Revolutionärs davon zu laufen. Wer die Masse und die Klasse überzeugen und anführen möchte, der muss dort arbeiten, wo sich Masse und Klasse befinden. Es ist die Verantwortung der bewussten Kräfte, sich mit den Unbewussten zu verbinden, ihnen eine Alternative aufzuzeigen, sie zu gewinnen und wiederum zu bewussten Kämpfern für die Sache der Arbeiterklasse zu entwickeln. Wer sich dieser Realität verschließt, sich ihr verweigert und sie leugnet, der läuft vor der Verantwortung und vor den Aufgaben eines Revolutionärs davon.

Unsere Lehre daraus: Wer innerhalb der Masse und innerhalb der Klasse arbeiten möchte, der darf sich nicht vor der Arbeit innerhalb der Gewerkschaft scheuen. Denn wer „revolutionär“ sagt, meint also „im Interesse der Arbeiterklasse und zugunsten der proletarischen Revolution“. Nichts weniger kann es bedeuten Revolutionär zu sein und revolutionäre Arbeit zu leisten.

Gemessen wird an der Praxis

Konkret bedeutet das: Als MarxistInnen mit revolutionärem Anspruch müssen wir mit unserer Arbeit zur Vermehrung des revolutionären Potentials, zum Aufbau einer revolutionären proletarischen Partei, zur Verankerung der revolutionären Theorie und der revolutionären Organisationen innerhalb der Arbeiterklasse, zur Steigerung des Klassenbewusstseins im Allgemeinen und zur Emanzipation der Arbeiterklasse beitragen. Diese Arbeit kann und muss auch in den Gewerkschaften geleistet werden. Selbst unter dem Einfluss der Sozialdemokratie sammeln sich innerhalb der Gewerkschaften insbesondere die fortschrittlichen und aktiven Personen der Arbeiterklasse. Sie sind es, die zuerst durch revolutionäre Politik gewonnen werden können und gewonnen werden müssen. Sie sind es auch, die bereits jetzt wichtige Positionen im alltäglichen Geschehen des Klassenkampfes einnehmen, zum Beispiel in gewerkschaftlichen Ehrenämtern oder als Vertrauenskörper und Betriebsräte in den Betrieben. Natürlich erschleichen sich auch immer wieder Karrieristen und Selbstdarsteller Positionen in diesen Gremien. Wer Aufschluss über die Aufrichtigkeit von Personen gewinnen möchte, der sollte sie an ihrer praktischen Arbeit messen. Dies gilt für den Betriebsratsvorsitzenden und für den Gewerkschaftssekretär, genauso wie auch für den Revolutionär.

Die Arbeit mit unseren Schwestern und Brüdern und die gemeinsame Erarbeitung von relevanten Standpunkten sind es, die den Klassenfeind klar erkennbar machen und auch den bürgerlichen Staat immer wieder zur Selbstenttarnung zwingen. Nirgendwo sonst lässt sich der Opportunismus der Gewerkschaftsbürokratie so gut aufdecken und zur Schau stellen, wie in den konkreten Arbeitskämpfen und vor den Augen mehrerer Millionen Arbeiter jedes Jahr. Die Arbeit in den Gewerkschaften ist daher unverzichtbar und eine wichtige Grundlage für den Aufbau einer revolutionären Massenbewegung.

Demonstration | 1. Mai 2023 | 15 Uhr | Augustusplatz