#le2809 Am 28.09. auf die Straße! Safe Abortion Day 2022 Leipzig

Kein Grund zu feiern..

In diesem Jahr fällt der § 219a StGB und damit das Verbot der „Werbung“ für Schwangerschaftsabbrüche. ÄrztInnen dürfen dann endlich über alle wichtigen Aspekte wie Methoden, Vorgehen und Kosten von Schwangerschaftsabbrüchen informieren. Zusätzlich gewinnen sie Rechtssicherheit gegenüber GegnerInnen von Schwangerschaftsabbrüchen, die diesen absurden Paragrafen nutzen, um ÄrztInnen zu verklagen.

Der Druck aus der Bewegung der sexuellen Selbstbestimmung war entscheidend für diese längst überfällige Streichung. Und dennoch: Und dennoch ist dies kein Grund zum Feiern! Denn solange es den § 218 StGB gibt, gilt der Schwangerschaftsabbruch in Deutschland als Straftat. Wir fordern die Bundesregierung auf zu handeln und das Recht auf körperliche und sexuelle Selbstbestimmung und somit sichere Schwangerschaftsabbrüche zu gewährleisten.

Wir fordern: weg mit §218! Reproduktive Rechte sind Menschenrechte!

1. Ersatzlose Streichung von §218 StGB aus dem Strafgesetzbuch


2. Uneingeschränkten, flächendeckenden und barrierefreien Zugang zu legalen und wohnortnahen Schwangerschaftsabbrüchen


3. Streichung der Beratungspflicht und der „Wartezeit“ (§218a)


4. Das Recht auf freiwillige, qualifizierte, neutrale und ergebnisoffene Beratung als verpflichtende Aufgabe des 
Bundes/der Länder


5. Übernahme aller Kosten seitens der Krankenkassen und Behandlung des 
Schwangerschaftsabbruches als Teil der regulären Gesundheitsversorgung und des
 Gesundheitsschutzes


6. Ausbildung in den Methoden des Schwangerschaftsabbruchs als verpflichtender Teil der
 Ausbildung von FachärztInnen und bzw. Studiengänge für Medizin


7. Umfassende Informationen über und den kostenfreien Zugang zu allen Verhütungsmitteln für alle, sowie kostenfreie Vergabe der „Pille danach“ als Notfallverhütung.


8. Enttabuisierung des Schwangerschaftsabbruchs und Berücksichtigung des Themas in der sexuellen Bildung


9. Soziale und ökonomische Unterstützung seitens des Staates und die Gewährleistung der notwendigen Infrastruktur für alle, die sich für ein Kind entscheiden, damit sie ihre eigene Lebensplanung aufrechterhalten können. Bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie, z.B. durch kostenfreie Kita-Plätze.

Auch 2022 werden sexuelle und reproduktive Rechte in vielen Ländern der Welt nicht umgesetzt. Im Gegenteil: das Grundrecht von körperlicher und sexueller Selbstbestimmung wird in vielen Ländern angegriffen: In den USA ist das Recht auf Schwangerschaftsabbruch nun nahezu ganz verboten, bereits mehrere Frauen sind gestorben. Im europäischen Nachbarland Polen ist Schwangerschaftsabbruch de facto verboten. In der Folge dieser restriktiven Regelungen sind auch hier bereits Schwangere gestorben, da ÄrztInnen aus Angst vor strafrechtlichen Konsequenzen lebensnotwendige Schwangerschaftsabbrüche verwehrten. Auch vor dem Ukraine-Krieg geflüchtete Menschen in Polen haben keinen Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen. Weltweit erleben wir Ungleichbehandlung und Unterdrückung durch die Angriffe auf sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte. In den letzten Jahren ist auch in Deutschland eine vermehrte Radikalisierung sowie steigendes aggressives Auftreten sogenannter „LebensschützerInnen“ zu beobachten. Sie stehen vor Abtreibungskliniken, beten und belästigen Frauen, die dort Hilfe suchen. Sie betreiben mit Geldern von rechten Parteien wie der AfD Propaganda und erhalten finanzielle wie organisatorische Unterstützung von evangelikalen und christlichen Kreisen aus den USA. Der Papst persönlich bezeichnete Abtreibung zuletzt als „Massenmord“.

„you can’t ban abortion. you can only ban safe abortion.“

Abtreibung ist kein Mord! Der Embryo ist körperlich abhängig von der schwangeren Person, noch nicht überlebensfähig und könnte nicht allein existieren, geschweige denn dass es in diesem Entwicklungsstadium Empfindungen haben könnte. Abtreibungen lediglich nach einer Vergewaltigung zu gewähren widerspricht massiv der persönlichen Autonomie eines Menschen.

Durch die gesetzliche Regelungen und Verbote wird schwangeren Personen auch das eigene Recht auf körperliche und psychische Unversehrtheit verwehrt. Einem nicht schmerzempfindenden Embryo mehr Rechte zuzugestehen als einer erwachsenen Person zeigt deutlich, was man von Frauen und Menschen die schwanger werden können hält. Auch wenn die Müttersterblichkeit in Deutschland „nur“ noch bei ca. 4 Toten pro 100.000 Lebendgeborenen liegt: Komplikationen während der Schwangerschaft und der Entbindung sind keine Seltenheit. Schwangerschaft und Geburt sind immer mit persönlichen Entbehrungen und körperlichen Beeinträchtigungen verbunden. Nicht wenige Frauen erleiden selbst bei gewollten Kindern ein Trauma.

Wer Leben wirklich schützen will, kämpft Pro Choice.

Die Realität zeigt: Schwangerschaftsabbrüche lassen sich nicht verbieten – lediglich sichere, hygienische Abbrüche unter ärztlicher Betreuung. In Ländern mit liberaler Abtreibungspolitik wie Frankreich oder Holland wird deutlich weniger abgetrieben, denn mehr Selbstbestimmungsrechte gehen Hand in Hand mit besserer Aufklärung und kostengünstigen Verhütungsmitteln. In Ländern, in denen Abtreibung verboten ist, sterben regelmäßig Frauen an den Folgen selbst gemachten Abbrüchen – denn Frauen treiben ab, ob legal oder illegal.

Selbstbestimmung statt Gebärzwang!

Wer uns zu Geburt, Schwangerschaft und Mutterschaft zwingen will, erkennt uns das Mensch-Sein ab und reduziert uns auf unseren Uterus. Das fehlende Recht auf selbstbestimmte Mutterschaft widerspricht unserem Recht auf Gesundheit, auf körperliche Integrität, auf Gewissensfreiheit sowie dem Recht auf moralische Autonomie und Entscheidungsfreiheit. Schon immer haben Frauen Mittel und Wege zur Verhütung und Abtreibung gefunden – und seit der Entstehung des Patriarchats finden Männer Wege, uns durch fehlende reproduktive Freiheit kleinzuhalten. Wer nicht mal selbst über den eigenen Körper entscheiden kann, hat auch sonst den Mund zu halten.

SelbstbestimmungsgegnerInnen geht es niemals um den Schutz von Leben – es geht um Kontrolle und Machtausübung gegenüber Frauen, um unsere „natürlich Rolle“ und Gehorsamkeit gegenüber der Kirche, dem patriarchalen Staat und Männern. Wer denkt, schlimmer als in den USA oder Polen kann es nicht kommen, irrt: der Krieg gegen die Frauen ist erst der Anfang. Nachdem Frauen sämtlicher Grundrechte beraubt wurden, ist als nächstes die LGBTQ+ Szene (Homosexuelle, nicht-binäre und trans* Personen) dran. Diese erleben – wie Frauen weltweit – eine immense Zunahme von Gewalt im privaten und öffentlichen Raum. Antifeministisches Gedankengut vermischt sich mit Rassismus, Antisemitismus und rechten Verschwörungsideologien zu hochexplosivem gesellschaftlichem Sprengstoff. Es wird systematisch alles unterdrückt, was nicht weiss, männlich & hetero ist. Alle Schwangeren müssen das Recht und den Zugang zu einem sicheren Schwangerschaftsabbruch haben. Weder Alter, sozialer Status, Be_hinderung, Weltanschauung, rassistische Zuschreibungen, Aufenthaltsstatus, Sexualität oder Geschlechtsidentität dürfen dabei eine Rolle spielen.

Es war nicht „schon immer so..“

Der Anspruch, über den Körper und die Gebärmutter einer Frau entscheiden zu dürfen, liegt in dem kapitalistischen Besitzanspruch des Mannes gegenüber der Frau begründet. Dieses Denken ist keineswegs „naturgegeben“ oder war „schon immer so“. Es gab (und gibt immer noch vereinzelt) Gesellschaften auf der Welt, die beweisen, dass das Patriarchat eine bewusst gewählte Gesellschaftsform ist. Die kurdische Region Rojava beispielsweise zeigt deutlich, dass sich eine Gesellschaft selbst von kapitalistischen und patriarchalen Zwängen befreien kann, wenn sie nur will. Deshalb reicht es nicht, lediglich eine Abschaffung des §218 zu fordern – wir kämpfen für eine Gesellschaft, die solche Paragrafen gar nicht erst ins Leben ruft. Eine Gesellschaft, in der die Menschen trotz ihrer Unterschiede dieselben Rechte und Freiheiten haben. Wir kämpfen für eine Gesellschaft ohne Unterdrückung, Ausbeutung und Diskriminierung aufgrund von Geschlecht, Sexualität, Hautfarbe, Religion oder Herkunft.

Diesen Kampf müssen wir gemeinsam führen. Frauen, Männer, nicht-binäre, agender und trans* Personen müssen aufstehen und zusammen, mit allen notwendigen Mitteln, gegen diese reaktiönären, menschenverachtenden Ideologien kämpfen!

Zusätzlich brauchen wir ein Sozialsystem, welches Eltern besser unterstützt. Bessere sexuelle Aufklärung an Schulen sowie kostenloser, flächendeckender Zugang zu Verhütungsmitteln und kostenlose Kita-Plätze wären ein guter Anfang. Solange Mütter mit der Last der Mutterschaft und der unbezahlten Haus- und Sorgearbeit alleingelassen werden, solange sich Eltern mit Blick aufs Konto zwei mal überlegen müssen, ein Kind zu bekommen – solange werden Frauen auch gezwungen sein, sich gegen ein Kind entscheiden zu müssen.

Eine befreite Gesellschaft setzt vollumfängliche körperliche und sexuelle Selbstbestimmung voraus – für alle Menschen. Auch wenn es gerade düster aussieht, lassen wir uns nicht entmutigen. Internationale Erfolge wie in Kolumbien bestärken uns in unserem Kampf. In dem katholisch geprägten Land gab es bis zu 400.000 heimliche Abtreibungen pro Jahr. Tausende Frauen starben an den Folgen von Komplikationen. Nach massiven Protesten von Frauenbewegungen wurden 2022 Abbrüche bis zur 24. Schwangerschaftswoche legalisiert. Frauen dürfen jetzt ohne Angabe von Gründen und von der Krankenkasse bezahlt bis zur 24. Woche abtreiben.

Wir solidarisieren uns mit allen, die für körperliche und sexuelle Selbstbestimmung kämpfen, insbesondere Frauen, nicht-binäre und trans* Personen sowie Menschen mit Behinderung, in Deutschland und weltweit.

Am 28.09.2022 auf die Straße!

Internationaler Tag zur Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen | International Safe Abortion Day

Kundgebung | 28.09.2022 | 18 Uhr

Richard-Wagner-Platz

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