35 Jahre Annexion – Wir feiern nicht

35 Jahre Wiedervereinigung – wir feiern nicht! Mit der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten im Herbst 1990, hat die politische Spitze der Bundesrepublik Deutschland ihr jahrzehntelanges Ziel verwirklicht. Die Wiederangliederung des anderen Deutschlands.

Für die heutige Generation nur schwer vorstellbar, herrschte knapp 40 Jahre lang der Zustand, dass es neben der eigenen Heimat und dem eigenen Staat noch etwas gab, nämlich ein Drüben. Auf der einen Seite die Deutsche Demokratische Republik, eingebettet im Ostblock, und auf der anderen Seite die Bundesrepublik Deutschland als Vertreter der Interessen des Westens.

Beiden ging es um die Durchsetzung ihres Standpunktes, dem einen lange um bloße Anerkennung als Staat und dem anderen um die Legitimation als wahres und einziges Deutschland. Und so kommt es auch nicht von ungefähr, dass sich die Politik der BRD gegenüber ihrem kleineren Nachbarn immer darum drehte, wann dieser endlich wieder eingegliedert werden würde. Dass so Mancher eben diese DDR und ihre Vorzüge (günstige Wohnungen, sichere Arbeit, Kinderkrippen usw.) eben als seine Heimat sah und sich ein großer Teil eher am Aufbau des Sozialismus als am Projekt Marktwirtschaft beteiligen wollte, spielte dabei keine Rolle.

Am 3. Oktober war es dann so weit. DDR ist weg, es bleibt die BRD. Und aus Bürgern eines anderen Staates wurden Bürger zweiter Klasse. Nachdem ihnen zuvor mit Versprechen wie: „blühenden Landschaften im Osten“ Honig ums Maul geschmiert wurde, wurde in den neuen Bundesländern erst einmal hart durchgegriffen. Man bekam in den darauf folgenden Jahren mit der Wende ziemlich gut zu spüren, was „soziale“ Marktwirtschaft wirklich bedeutet.

Die 1990 gegründete Treuhand hatte den Auftrag das wirtschaftliche Inventar des Ostens, die Volkseigenen Betriebe, zu privatisieren und die „Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen zu sichern“. Dabei ging es um 14.600 Betriebe, 2,4 Millionen Hektar Land und das Vermögen der Nationalen Volksarmee. Die Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit, die gesichert wurde war jedoch nicht die der ostdeutschen Konkurrenz, sondern die der westdeutschen Monopole. Denn die ostdeutschen wurden innerhalb kürzester Zeit verkauft, mit der Begründung sie in gewinnbringende kapitalistische Unternehmen verwandeln zu wollen. Faktisch wurden jedoch gerade ökonomisch effizient arbeitende Großbetriebe auf Grundlage von gefälschten Bilanzen und der allgegenwärtigen Propagandaerzählung der „hoffnungslos rückständigen DDR- Wirtschaft“ von westdeutschen Kapitalisten einfach geschlossen (z.B. Interflug, Foron).

Diese entledigten sich damit potentieller Konkurrenten und konnten gleichzeitig Produktionsmittel so spottbillig und in so großem Umfang erbeuten, dass sie daraus bis heute international Wettbewerbsvorteile ziehen, wie zum Beispiel VW, die noch heute in den Sachsenringwerken ihre Autos produzieren. Der Leitungsausschuss der Treuhand, der Gutachten über tausende ostdeutsche Betriebe im Schnellverfahren ausstellte, bestand zunächst aus der Unternehmensberatung Roland Berger, die sich mit der Zeit Mitarbeiter von KPMG, McKinsey, Price Waterhouse Coopers und weiterer privater Beraterfirmen hinzuzog. Alle diese sogenannten „Beratungsunternehmen“ hatten bereits bestehende, hochdotierte Verträge mit dem westdeutschen Großkapital.

Die Treuhand war für sie die Möglichkeit in einem, in der gesamtdeutschen Geschichte einmaligen, Massenanfall von organisierter Wirtschaftskriminalität staatliche Gelder dafür zu erhalten, im Interesse ihrer langjährigen Geschäftspartner im Westen die DDR- Wirtschaft abzuwickeln und sich an den Provisionen auch noch privat zu bereichern. Es wurde von der Räuberhorde in Nadelstreiffenanzügen also gleich dreifach abkassiert- leidtragende war die ostdeutsche Wirtschaft und ihre juristischen Eigentümer- die Arbeiterinnen und Arbeitern der DDR. Zwei Drittel der Menschen, die in den von der Treuhand „verwalteten“ Betrieben tätig waren, verloren ihren Arbeitsplatz. Allein in den Jahren 1990-93 ging etwa die Hälfte der ostdeutschen Industriearbeitsplätze verloren. In Westdeutschland hingegen stieg zwischen 1989- 1991 das Geldvermögen der Unternehmen um insgesamt 300 Milliarden D-Mark an, die Profite der Kapitalgesellschaften wuchsen um 75%, die Zahl der Millionäre erhöhte sich um 40%- vergleichbare Zahlen kennt man eigentlich nur aus kolonialen Ausbeutungsverhältnissen.

Die Folge waren Massenentlassungen, Armut und Elend. 3,5 Millionen Ostdeutsche verloren ihre Jobs, aus keinem anderen Grund als Rationalisierung und Profitsteigerung. Hunderttausende mussten in Kurzarbeit gehen, noch 2018 lag der Anteil der Niedriglöhner im Osten aufgrund der Deindustrialisierung fast doppelt so hoch wie im Westen. Wer gestern noch bei der Wismut oder Wartburg gearbeitet hatte, musste nun für Billiglohn Papiertüten falten oder hinter der Kasse stehen. Die BRD hat sich 5 Bundesländer mit einer Menge an billigen Arbeitskräften rangezogen und das ist bis heute nicht anders. Wir bekommen immer noch fast 20 Prozent weniger Lohn als unsere Kollegen im Westen.

1,9 Millionen Menschen verließen deshalb ihre Heimat, in der Hoffnung aus dieser Not in den Westen zu fliehen, gerade auf dem Land spürt man diese Entvölkerung bis heute. Wo früher ein solidarisches Zusammenleben in der Nachbarschaft oder in der Platte war, haben sich heute Leerstand, Vereinzelung und Einsamkeit breit gemacht.

Der hauptsächliche Grund, weshalb der Ausverkauf und die Verarmung Ostdeutschlands als direkte Konsequenz aus der zur „Wiedervereinigung“ stilisierten Annexion so aggressiv aus dem heutigen Diskurs herausgehalten werden ist, dass es sich dabei nicht um Fehler oder Nebenwirkungen westdeutscher Wirtschaftspolitik handelte. Viele ostdeutsche Betriebe wurden erst durch die 1990 erzwungene Währungsunion faktisch abgewertet. Deren Umsetzung basierte auf dem Papier „Gedanken zu einer unverzüglichen Einbeziehung der DDR in den D-Mark- Währungsraum“ vom ökonomischen Mastermind Thilo Sarrazin, SPD (ja, das rassistische Arschloch mit Schnauzbart). Auf ganzen 14 Seiten legte dieser da, wie er sich die Währungsunion vorstellte und bemängelte unter anderem Industrialisierung und Vollbeschäftigung in der ostdeutschen Volkswirtschaft. Während die hochkomplexen finanzpolitischen Problematiken der Währungsunion auf den 14 Seiten ähnlich unterbelichtet blieben, wie ihr Urheber, wird die „Freisetzung von 35- 40% der Beschäftigten“ als geplante und gewünschte Konsequenz aus der erzwungenen Währungsunion explizit genannt. Die „unterentwickelte DDR- Wirtschaft“ hatte schließlich nicht einmal daran gedacht, dem Kapital eine Reservearmee von Arbeitslosen zur Verfügung zu stellen, um Löhne zu drücken und Abhängigkeitsverhältnisse zu verschärfen. Befreit wurde ein Großteil des ostdeutschen Proletariats also in erster Linie von ihren Arbeitsverhältnissen.

Eine weitere Gruppe, die mit dem 03.10. etwas zu feiern hatte, waren die Faschisten außerhalb der SPD. Gepaart mit der ökonomischen Not und dem Wiederaufflammen eines deutschen Nationalgefühls entbrannte die Gewalt der Reaktionäre in seit Ende des Krieges nicht mehr gesehenem Ausmaße. Die berühmten Baseballschlägerjahre oder Pogrome wie Rostock-Lichtenhagen 1992 und Magdeburg 1994 (mit direkter Beteiligung der Bullen) zeigten, wie frei sich die Neonazis in Marktwirtschaft und liberaler „Meinungspluralität“ entfalten konnten. Dies ist bis heute Kontinuität: Die jugendlichen Schläger wurden erwachsen und bildeten faschistische Parteien, Kader – und militante Untergrundorganisationen wie den NSU. Diese sind bis heute aktiv und vergiften, gestärkt durch die Unsicherheiten der kapitalistischen Krisen, erneut die Jugend.

Noch heute reden Politiker von CDU und SPD davon, wie strukturschwach Ostdeutschland ist, dass sie selbst mit dem Ausverkauf der ehemaligen DDR genau dafür verantwortlich sind, wird lieber verschwiegen. Wer sich heute wundert, warum es hier eben keine Angebote für Jugendliche mehr gibt und diese deshalb im Park saufen, warum Rentner Flaschen sammeln müssen, warum jeder zweite von hier wegziehen will, der sollte wissen: Das ist die Marktwirtschaft mit ihren Konsequenzen.

35 Jahre BRD, wir sagen Dankeschön! Danke Kohl, dass du unsere Eltern arbeitslos gemacht hast! Danke Schröder, dass wir durch Agenda 2010 keine Rente mehr haben werden! Danke Merkel, dass unsere Schulen zerfallen und wir uns keine Wohnungen leisten können. Danke Scholz, dass Deutschland einen Genozid unterstützt. Danke Merz, dass Deutschland wieder junge Menschen an der Front verheizen will!

Wir wollen die DDR nicht zurück, aber vor dem Hintergrund wie offen hier in unserer ostdeutschen Heimat Kapitalisten die Produktionsmittel unter sich aufteilten und verschandelten ist es schier unfassbar, wie eine derart verstrahlte Geschichtsschreibung in die Schulbücher und Köpfe der Menschen einkehren konnte. In diesem Staat, der uns vor 35 Jahren aufgezwungen wurde, in dem wollen wir nicht leben. Wir haben kein Interesse daran für wenig Lohn zu buckeln bis wir 70 sind. Wir haben es satt, dass unser Wohnraum Spekulationsobjekte sind und unsere Mieten immer weiter steigen. Wir wollen nicht von diesem Staat an irgendeine Front geschickt werden um für die Profite von Bonzen zu krepieren.

Wir sind für eine Wende, für eine Rote Wende!

Ihr habt uns alles genommen, wir sind hier um uns noch mehr wieder zurückzuholen!

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