Kommenden Samstag, am 14.6. findet in Jena die Großdemonstration Antifaschismus ist Notwendig! Free all Antifas! statt. Wir möchten mit unserer Veröffentlichung zur Teilnahme an dieser wichtigen Veranstaltung aufrufen, aber auch auf die Hintergründe der Demonstration näher eingehen, was bedeutet die gesellschaftlichen Zustände und Entwicklungen in deren Kontext sie stattfindet einzuordnen und die zwei größten Prozesse gegen militante Antifas der letzten Jahre näher zu beleuchten.
Darüber hinaus halten wir allerdings auch eine ideologische wie praktische Kritik an verbürgerlichten Verständnissen von Antifaschismus im Kontext der Demo in Jena und der Zuspitzung der Repression gegen Antifaschisten in der BRD für dringend notwendig. Nicht zuletzt auch, weil sich Elemente eines solchen bürgerlichen Antifaschismus auch bei vielen Strukturen und Einzelpersonen erkennen lassen, die sich selbst der „radikalen/revolutionären Linken“ zurechnen, es geht also darum Fehlannahmen innerhalb unserer eigenen Reihen aufzudecken und zu kritisieren.
Die gesellschaftlichen Hintergründe
Die Demo in Jena findet vor dem Hintergrund eines globalen Rechtstrends statt, der sich zum einen in der öffentlichen Meinung und der Politik der bürgerlichen Parteien zeigt, zum anderen aber auch am Erstarken der organisierten Rechten auf den Straßen. In der BRD, wie in vielen anderen Ländern Europas und der Welt, erleben wir dass die Repressionen gegen Antifaschisten, insbesondere gegen militanten Antifaschismus, immer mehr zunehmen und sich das Vorgehen der Bullen, die Gerichtsurteile gegen Antifas und die mediale Panikmache auf ungeahnte Höhen hochschaukeln, die in unserem Land seit der Zeit der RAF nicht mehr erreicht wurden.
Dass Rechte auf den Straßen wieder präsenter werden, dürfte wohl niemanden überraschen. Rassistische, sexistische und andere menschenfeindliche Pöbeleien sind und waren für viele Menschen in Deutschland schon immer Teil des Alltags. Diese chauvinistischen Tendenzen gehen nicht maßgeblich auf einzelne rechte Kräfte innerhalb der Gesellschaft, wie z.B. die AfD und ihre Anhänger zurück, sondern sind elementarer Bestandteil des ideologischen Überbaus der kapitalistischen Klassenherrschaft. Zunehmende Bedrohung durch Armut, mangelnde soziale Sicherheitsnetze in allen Bereichen und das permanente Reproduzieren von Verlierern des gesellschaftlichen Konkurrenzkampfes werden der Bevölkerung durch ideologische Hetze von Spiegel bis Compact Magazin wahlweise als das Resultat von „Massenmigration“, „faulen Arbeitslosen“, oder einer „aus den Fugen geratenen Familienordnung“ präsentiert.
Wie schon in den sogenannten Baseballschlägerjahren kurz nach der Annexion der DDR, nehmen Hetze und Spaltung zu, je krisenhafter die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zustände sind. Aus Ausbeutung und Machtlosigkeit entstandene Wut und Aggression wird ideologisch auf chauvinistische Feindbilder umgelenkt – ein gesamtgesellschaftlicher Prozess, der von Leitmedien und Parteien angetrieben wird, an dem aber auch die einfache Bevölkerung indirekt beteiligt ist, sofern man sich nicht aktiv dagegenstellt.
Gerade in Zeiten, in denen es ultrakonservativen bis faschistischen Kräften deutlich besser gelingt, sich der arbeitenden Bevölkerung als radikalen politischen Ausweg aus der Dauerkrise zu präsentieren als der progressiven Linken, treiben Krisen des Kapitalismus und das falsche Bewusstsein über deren Ursprünge den Faschisten massenhaft Nachwuchs in die eigenen Reihen. Einer politischen Kraft, die nicht einfach nur politischer Gegner auf theoretischer Ebene, sondern praktischer Todfeind jeder progressiven politischen Bewegung im Lande ist. Anschläge wie in Halle oder Hanau zeigen, wie real die Bedrohung durch bewaffnete Neonazis in Deutschland nach wie vor bleibt, egal wie viel man im Parlament oder Wahlkampf vom Sieg der Demokratie und Menschenrechten faselt.
Wer im letzten Jahr z.B. auf CSDs unterwegs war, die nicht in den hippen Großstädten stattfanden, konnte die zunehmende Organisierung der (v.a. auch jungen) Rechten mit eigenen Augen beobachten. Zahlreiche CSDs wurden von Gegendemos begleitet auf denen Reichskriegsflaggen wehten, es gab unzählige Angriffe auf die Teilnehmenden. Oft konnten Demos nur unter mehr als zweifelhaftem Polizeischutz laufen (In Döbeln beispielsweise, mit einer Gegendemo, die den CSD symbolisch durch die Stadt jagen und aktiv bedrohen durfte, weil sie mit wenigen Metern Abstand dahinter laufen durfte). Dieses Jahr hat steht zwar ein Großteil der CSDs noch aus, es lässt sich aber ähnliches erahnen. Vielerorts sind bereits Gegendemos angemeldet, der CSD Gelsenkirchen wurde schon aufgrund von Anschlagsdrohungen abgesagt.
Die Dunkelziffer bei faschistischen Angriffen bleibt riesig, zum Teil auch, weil die Betroffenen selbst schon furchtbare Erfahrungen mit den Bullen gemacht haben und sich von ihnen schlicht und einfach keine Hilfe erhoffen können. Die sogenannten Sicherheitsbehörden sind selbst von rechten Netzwerken durchsetzt, Jahr für Jahr werden unzählige Chats mit Nazisymbolik oder gleich bewaffnete Netzwerke, die Waffen und Munition stehlen und sich auf Straßenkämpfe gegen politische Gegner vorbereiten aufgedeckt. Auch werden militante Faschisten nachweislich immer wieder von VS und Co. gedeckt, geschützt oder sogar aktiv mitaufgebaut, wie es z.B. durch die Akten zum NSU-Komplex hinlänglich bewiesen ist.
Auch in „unseren“ Parlamenten können wir diese fließenden Übergänge seit Jahren beobachten. Parteien wie die AfD oder andere rechtsradikale Kleinstparteien, haben in den letzten Jahren massiven Wählerzuwachs zu verzeichnen gehabt, können auf immer mehr Geldmittel und Unterstützer zurückgreifen, bekommen immer mehr Plattform in Medien. Die Reaktion der bürgerlichen Parteien, die sich selbst zum Teil sogar stolz als progressiv und antifaschistisch darstellen, ist keine scharfe Abgrenzung nach rechts, die Programme lassen jegliche attraktive, wirklich progressive Gegenangebote zur rechten Propaganda vermissen. Ganz im Gegenteil, um den Rechtsextremen Prozente abzunehmen, werden deren rassistische, sozialchauvinistische und queerfeindliche Inhalte einfach leicht abgeschwächt umformuliert und in die eigenen Parteiprogramme, vor allem aber in die eigene politische Praxis übernommen. Der AfD werden damit offensichtlich kaum Stimmen streitig gemacht, der „normale“ gesellschaftliche Diskurs verschiebt sich so allerdings immer weiter nach rechts.
Egal ob unter der Ampel-Regierung oder der jetzt bestehenden Großen Koalition werden Positionen die direkt aus der Feder der angeblich so verwerflichen, „antidemokratischen“ rechten Parteien stammen (könnten), übernommen. In den letzten Jahren haben wir stetige Verschärfungen des Asylrechts und der Migrationspolitik erlebt. Ob ein Scholz, der forderte endlich fleißiger Abzuschieben, die regierungsübergreifende Politik ohne jede Grundlage, immer mehr Länder als „sichere Herkunftsländer“ einzustufen, um auch dorthin abschieben zu können, oder ein Dobrindt, der innerhalb weniger Tage nach Amtsantritt Zurückweisungen an den Grenzen auch bei legitimen Asylgesuchen anordnet – die „demokratische Mitte“ setzt um, was von rechtsaußen gefordert wird.
Obendrauf ist natürlich auch zu erwähnen, dass auch international die Festung Europa seit Jahren massiv ausgebaut wird. Wenn die Investitionen in Frontex oder Kooperationen mit lybischen Behörden dazu führen, dass viele Geflüchtete Europa gar nicht erst erreichen, oder sie zumindest in Ländern wie Griechenland in riesigen Lagern unter barbarischen Bedingungen festgehalten werden, muss man in Deutschland im Umkehrschluss natürlich weniger Abschieben – die „europäische Lösung“ ist daher besonders bei vermeintlich linkeren Teilen des Bündnis 90/ Die Grünen extrem beliebt, da man so Migration und Flucht nach Deutschland faktisch verunmöglichen kann, ohne allzu offensichtlich in die Abschiebeforderungen von AfD und co. mit einzustimmen.
Gleichzeitig wird der Widerstand gegen dieses System, ob als AntifaschistIn oder KlimaaktivistIn, zunehmend kriminalisiert. Die deutschen „Sicherheitsbehörden“ werden stetig ausgebaut, bekommen weitere Befugnisse und technische Mittel (zB zur Gesichtserkennung mittels KI), auch das Vorgehen gegen jegliche grob links eingeordnete DemonstrantInnen wird merklich härter (man denke allein in diesem Jahr an Veranstaltungen wie der LLL Demo in Berlin, die Angriffe auf Gegenproteste beim AfD Parteitag in Riesa oder die fast täglichen Prügelattacken auf palästinasolidarische Demos praktisch überall). Selbst der Einsatz der Bundeswehr gegen Streikende und DemonstrantInnen im Inland wird wieder offen erprobt. Man macht uns klar, dass Widerstand gegen den deutschen Staat, das deutsche Kapital den Regierenden nicht nur ein Dorn im Auge ist, sondern mit allen Mitteln zerschlagen werden soll.
Die großen Prozesse gegen militanten Antifaschismus, die hier in Deutschland stattfanden, teils noch stattfinden und deren mediale Hetzbegleitung, sind dafür ein mehr als deutliches Beispiel. Antifaschismus, der sich nicht auf moralische Appelle in Wahlkampf oder Talkshows oder die oberflächliche Verteidigung der bürgerlichen Demokratie beschränkt oder es sogar wagt, das Problem als im Kern des deutschen Imperialismus verankert zu benennen, wird den entsprechenden AktivistInnen zum Problem. Von medialer Hetze bei Bild und Co., über Berufsverbote, bis hin zu Isolationshaft in Ungarn und drohenden Abschiebungen in Kriegsgebiete ist alles dabei.
Repressionen gegen militanten Antifaschismus
Auf die zwei großen Verfahren der letzten Jahre hier in Deutschland, wollen wir hier nochmal genauer eingehen:
Antifa Ost
Das Verfahren Antifa-Ost, also rund um Lina E. Dürfte wohl allen hier ein Begriff sein. Es bezieht sich auf organisierte Angriffe auf bekannte Neonazis in Eisenach, Leipzig und Wurzen 2019/2020 und die darauffolgende massive Repression gegen die vermeintlichen Täter, ihre (politischen) Umfelder und solidarische Gruppen o.ä.
Ausgelöst wurde das Verfahren durch einen Angriff auf Leon Ringl (Mitgründer von Knockout51), nach dem zwei beschuldigte Personen in der Nähe des Tatorts aufgegriffen und ED behandelt wurden. Wenn man sich den weiteren Verlauf des Verfahrens anschaut, wird schnell klar wie absurd die Vorwürfe und die vermeintliche politische Tragweite des Prozesses aufgebauscht wurden, um ein Exempel gegen militanten Antifaschismus zu statuieren.
Das Verfahren lag zuerst (wie in jedem normalen Strafprozess vorgesehen) bei der zuständigen Staatsanwaltschaft in Meiningen, wurde allerdings schnell von der Bundesanwaltschaft an sich gerissen, obwohl rein faktisch keine Zuständigkeit bestand. Die BAW wäre eigentlich nur für die innere Sicherheit gefährdende Straftaten, also Terroranschläge o.ä. zuständig. Um das Verfahren zu übernehmen, musste den vereinzelten Angriffen auf bekannte Neonazis also eine staatsgefährdende Bedeutung zugemessen werden. In der Anklageschrift stand von dort an, dass die Taten „die Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner vom gewaltfreien Diskurs zur gewalttätigen Konfrontation verschieben würden“, es wurde quasi ein Angriff auf die friedliche Auseinandersetzung und Meinungsfreiheit erfunden.
Diese Stilisierung zu einem terrorähnlichen Prozess zieht sich durch das gesamte Verfahren. Beispielsweise wurde Lina im Heli zum Gericht nach Karlsruhe geflogen, als bestünde bei einem anderen (standardmäßigen) Transport, die Gefahr einer Gefangenenbefreiung. Und wenn wir gerade beim Thema Flucht sind: Bei Lina bestand während der mehrjährigen U-Haft faktisch keine juristische Grundlage dafür, sie hatte ein regionales, stabiles familiäres und soziales Umfeld, einen Job und es bestand Notwendigkeit zu regelmäßiger medizinischer Behandlung.
Auch das Vorgehen vor Gericht reiht sich in diese Behandlung ein, z.B. wurden Zeugenbefragungen regelmäßig vom Richter unterbrochen, eine Prozesserklärung der Angeklagten wurde ohne jede Erklärung verboten und die Angeklagten vom Richter mit der SS verglichen. Selbst nach den bürgerlichen Justizstandards ist dieses Verfahren also mehr als bodenlos gelaufen.
Diese Behandlung zog sich auch durch die mediale Berichterstattung. Die Springerpresse war schnell dabei, von der bevorstehenden Gründung einer neuen RAF zu fantasieren, oder Linksterrorismus in Deutschland zu einer akuten Bedrohungslage zu erklären. Besonders interessant im Zusammenhang mit der Berichterstattung ist auch, dass die Opfer der Angriffe beinahe immer als rechtschaffene Bürger, oder grade noch als „aus dem rechten Millieu stammend“ dargestellt wurden, statt sie als die bekannten, gut organisierten Neonazis zu benennen, die es im Wesentlichen getroffen hat.
Die Opfer sind allesamt bekannte Faschisten, langjährig aktiv und zu großen Teilen bereits selbst als überaus gewalttätig aufgefallen. Prominentestes Beispiel wohl Leon Ringel, Mitgründer von Knockout51, der unter anderem versuchte einen deutscher Ableger der Atomwaffendivision (USA) zu gründen, die offen einen Rassenkrieg propagiert; außerdem Inhaber der Bulls Eye Kneipe, die als Vernetzungs- und Veranstaltungsort für Neonazis aus ganz Thüringen diente. In Leipzig/Wurzen außerdem Personen wie Enrico Böhm, lange Vorsitzender der Leipziger NPD, regelmäßig vor Gericht wegen Volksverhetzung oder Angriffen auf Linke und MigrantInnen, außerdem 3 weitere bekannte Mitglieder der JN, die u.a. für Angriffe auf linke Projekte in Wurzen, Überfälle auf Geflüchtete, den Angriff auf Connewitz 2016 und die Teilnahme an zahlreichen Neonazi- Veranstaltungen wie die „Bomben Holocaust“- Demos in DD bekannt waren.
Viele dieser Faschos, sowie ihre oft selbst in Nazikreisen gut vernetzten Anwälte, waren im Prozess als Nebenkläger anwesend, bekamen also, neben der Genugtuung die politischen Feinde auf der Anklagebank zu sehen, oftmals brisante persönliche Infos über die Angeklagten auf dem Silbertablett geliefert. Innerhalb weniger Tage nach Beginn des Prozesses wurden beispielsweise Namen und Bilder von Beschuldigten auf NPD-Kanälen veröffentlicht. Die angegriffenen Nazis, die wie wir sehen können, selbst Gefallen an brutalen Angriffen auf Linke oder Migranten finden, bekamen vom Gericht ganz offiziell Zugriff auf Bilder, Namen und Adressen weiterer potentieller Ziele für ihre Kameraden.
Budapest-Komplex
Im Budapest-Verfahren stehen aktuell knapp ein Dutzend Personen vor Gericht, weil ihnen Angriffe auf den sogenannten Tag der Ehre vorgeworfen werden.
Der Tag der Ehre ist eine der größten Neonazi-Veranstaltungen, eines der größten Vernetzungs-Events für Faschisten in Europa. Jahr für Jahr finden in Budapest zahlreiche Faschisten zusammen, um dem Ausbruchsversuch der SS und ihrer ungarischen Verbündeten aus der von der Roten Armee umstellten Stadt zu Gedenken. Neben offensichtlicher Holocaustleugnung und Verehrung von faschistischen Kriegsverbrechern, dient das Event der europäischen Szene als ein extrem wichtiges Vernetzungstreffen, bei dem Strukturen ausgebaut und Erfahrungen ausgetauscht werden. Es gibt fast immer Rechtsrockkonzerte, teilweise auch Kampfsportevents der Neonazi Szene. Programme werden von Gruppen wie dem internationalen Netzwerk Blood & Honor (Verbindung zu Rechtsterroristen in den USA und u.a. auch zum NSU), der paramilitärischen Legio Hungaria oder den Hammerskins Ungarn organisiert
Einschlägig bekannte und militante Faschisten tragen hier jedes Jahr unbehelligt ihre menschenfeindliche Gesinnung auf die Straßen, stellen Nazi- Symbolik, Waffen und Uniformen zur Schau und greifen Journalisten und Gegenproteste an. Beobachtende nehmen in den letzten Jahren deutliche Anstiege in den Teilnehmerzahlen wahr, auch aus Deutschland sind immer mehr bekannte Gesichter zu sehen. Das das ganze Treiben von Staat und Bullen unbehelligt bleiben kann, ist nicht wirklich verwunderlich, der ungarischer Staat betreibt selbst aktiven Geschichtsrevisionismus: Man leugnet offen jede Mittäterschaft ungarischer Militärs und deren Mithilfe bei der Deportation und Ermordung hunderttausender JüdInnen, Sinti und Roma
Der Tag der Ehre wird von bürgerlichen Institutionen sogar aktiv unterstützt, das Militärmuseum Budapest stellt zum Teil Abzeichen und Nazidevotionalien, die Organisatoren erhielten 2023 (Im Jahr der antifaschistischen Angriffe) knapp 18.000€ Finanzierungshilfe.
Gleichzeitig erleben die antifaschistischen Gegenproteste vor Ort seit jeher Repression und Drangsalierungen. Nicht. Nur die Angriffe der Faschisten machen die Gegenproteste gefährlich, sie auch von staatlicher Seite werden Proteste und Demos aktiv kriminalisiert. Internationale Anreisen werden oft schon an den Grenzen aufgehalten und über Stunden durchsucht, die Demos, die erlaubt werden, finden unter absurdem Bullenaufgebot statt. Ungarische Behörden versuchen dabei aktiv, Straftatbestände zu finden oder zu konstruieren, konfiszieren Versammlungsmittel, etc.
2023 gab es einen Bruch mit der herrschenden rechten Hegemonie. Außerhalb der angemeldeten Proteste gab es mehrere Angriffe auf einschlägig bekannte Faschos. Im Gegensatz zu den zahlreichen Angriffen durch Faschisten, kam es hier extrem schnell zu Ermittlungen, schon am ersten Abend wurde eine riesige SoKo gegründet, einen Tag später gab es die ersten Festnahmen.
Zwar wurden einige der Festgenommenen recht schnell wieder freigelassen, da die Beweislage selbst ungarischen Faschobullen zu dünn war, mehrere Betroffene berichten aber auch aus ihrer der kurzen Haftzeit von furchtbaren Bedingungen und Drangsalierung durch die Cops.
Vorgeworfen wurde den Betroffenen unter anderem „Gewalt gegen eine Gemeinschaft“. Diese Gemeinschaft bestand wie gesagt aus bekannten, organisierten Faschisten. In Springerpresse und Co. wird stattdessen von Musikern oder Wandertouristen gesprochen, die willkürlichen Angriffen zum Opfer fielen. Wer waren die Opfer also wirklich?
- „Der Musiker“ Laszlo Dudog ist zwar wirklich Musiker, allerdings bei einer Blood & Honor Band und außerdem hohes Tier bei deren ungarischem Ableger. Er organisierte schon Konzerte im Rahmen des Tages der Ehre, sah die gefallenen Faschisten von Budapest als Helden und sprach auch öffentlich gern darüber. Er trägt außerdem KuKluxKlan und 88 Tattoos und ist glühender Verehrer Rudolf Heß‘
- Die „polnischen Toursiten“ sind allesamt bekannte Mitglieder der Ruch Narodowy Partei, die durch Aussagen wie: „Ruch Narodowy ist eine Kraft vor der sich Linke, Liberale und Schwuchteln zu fürchten hätten“ auch über Polens Grenzen hinaus bekannt ist.
- Der nüchtern als „ungarischer Bürger“ bezeichnete Angegriffene ist Teil der Organisatoren des TdE Legio Hungaria, einer ultra-nationalistischen, paramilitärisch organisierten Gruppe. Er war außerdem Mitbegründer der Freiwilligen Grenzjäger, einer bewaffneten faschistischen Bande, die an der serbischen Grenze Jagd auf Migranten macht.
- Ein „deutsches Opfer“ war der Kampfsportler Robert Fischer, der v.a. durch Querdenkenproteste in Niedersachsen bekannt wurde. Er ist gut befreundet mit dem Frontsänger der Naziband Kategorie C und aktiver Besucher weiterer ähnlicher Veranstaltungen. In einem Interview sagte er „dass man als Nationalist in Ungarn noch Nationalist sein darf“ und er deswegen großer Fan des TdE sei.
Auch in Deutschland ging bereits knapp eine Woche später die Fahndung los, eingeleitet durch Hausdurchsuchungen in Berlin, schon früh wurden Verfahren gegen mehrere Personen eröffnet
In der Zusammenarbeit zwischen deutschen und ungarischen Behörden kam es innerhalb weniger Wochen zu umfassendem Austausch über potentielle Verdächtige, es wurden u.a. riesige Aktensammlungen zum AntifaOst- Verfahren nach Budapest überstellt
Zeitgleich begannen ungarische Behörden mit der Veröffentlichung von Klarnamen und Bildern der Verdächtigten. Diese Praxis setzt einige Monate später auch in der BRD ein, die Springerpresse druckte Gesichter und Namen von jungen Menschen unter Schlagzeilen mit Terrorismusvorwürfen ab und unterstellte ihnen Mordfantasien
Bis heute kam es im Budapest-Komplex zu mehr als 20 Hausdurchsuchungen unter absurdem Polizeiaufgebot. Vermummte SEKler mit Maschinenpistolen rissen Personen nackt aus ihren Betten, Verdächtigte wurden zum Teil stundenlang gefesselt festgehalten, selbst bis ins allerentfernteste Umfeld kam es zu zahlreichen Observationen und Anquatschversuchen. Angehörige und Anwälte werden darüber bis heute bewusst im Dunkeln gelassen und sogar aktiv unter Druck gesetzt. Beispielsweise gab es bei einem Besuch in der JVA Dresden den Versuch, Personen mit einer unkonkreten Zeugenladung vor Ort festzuhalten, anwaltliche Unterstützung wurde ihnen verwehrt, die verweigerte Kooperation der Betroffenen wurde mit dem Drohen einer Geldstrafe beantwortet. All dies zeigt, dass die Bullen um jeden Preis Solidarität erschweren wollen und versuchen, fehlende Informationen zur Not schlichtweg zu erpressen.
Die Inhaftierten in Budapest berichten von unterirdischen Haftbedingungen, von Ratten und Kakerlaken in den Zellen, teils fauligem Essen, Isolationshaft sowie Beleidigungen und Demütigungen durch die Schließer. Besonders hart traf es Maja: Das LKA Sachsen setzt sich kurzerhand über Anweisungen des Bundesverfassungsgerichts hinweg und lieferte Maja über Nacht nach Budapest aus; auch weitere Beschuldigte laufen nach wie vor Gefahr ausgeliefert zu werden.
Was lernen wir aus diesem Mist?
Diese zwei Verfahren sind beispielhaft für den Umgang der deutschen Behörden mit konsequentem Antifaschismus. Jedem der sich damit beschäftigt, wird schnell klar, dass es hier nicht nur um die Verteidigung einzelner Gesetze des BGB geht, sondern um das Brechen von Widerstand. In beiden Verfahren ist zu beobachten, wie sich deutsche Behörden wissentlich über die eigenen Spielregeln hinwegsetzen, um AntifaschistInnen wegzusperren und ihr Umfeld politisch handlungsunfähig zu machen.
Viele der Lesesenden werden selbst schon ähnliches in kleinerem Maßstab erlebt haben, nicht zuletzt, wenn mal wieder behelmte Bullen, auf die eigene Demo einprügeln, damit die Nazidemo auf der anderen Seite seelenruhig mit Reichsflagge posieren kann, von den mangelnden Konsequenzen für die alltäglichen rechten Pöbeleien und Angriffen gegen alles, was die Faschisten glauben als links, queer oder migrantisch erkannt zu haben, ganz zu schweigen.
Nichts gerissen, trotzdem da – Liberale Antifa
Die Öffentlichkeitsarbeit zu den beiden genannten Prozessen wurde keineswegs nur von Strukturen und Einzelpersonen übernommen, die dafür bekannt wären, die Notwendigkeit für militanten Antifaschismus konsequent zu betonen. Ganz im Gegenteil, sowohl zum Antifa-Ost-Verfahren als auch beim Budapest-Komplex erklären sich viele linksliberale Kräfte auf eine recht schizophrene Art „solidarisch“: Ein klares Bekenntnis zur Gewalt als im Zweifelsfall notwendigem politischen Mittel findet man bei ihnen nicht, stattdessen liegt der Fokus darauf, die genannten Verfahren als negative Ausnahmen eines ansonsten vertrauenswürdigen Rechtsstaates darzustellen. Statt einen revolutionären Standpunkt als Gegner der Klassenjustiz einzunehmen und sich von diesem Standpunkt aus mit den gefangenen Antifaschisten und ihren Handlungen bedingungslos solidarisch zu zeigen, gibt es massenweise Statements, Instaposts und sogar Demos, in deren Zentrum die Forderung nach einem „fairen, rechtstaatlichen Verfahren“ für die Betroffenen in den Mittelpunkt rückt.
Dieser Entwicklung liegt ein langer historischer Prozess zugrunde. „Antifa“ als alleiniges politisches Betätigungsfeld ist geschichtlich eine recht neue Entwicklung, eigentlich war die Antifaschistische Aktion einer von vielen Armen der organisierten Arbeiterbewegung in Deutschland, aufgebaut mit dem konkreten Ziel diese vor faschistischen Angriffen zu schützen und wenn nötig auch bei militanten Straßenkämpfen mit dem paramilitärisch organisierten politischen Gegner mithalten zu können. Die wirklich nachhaltige Arbeit gegen ein gesellschaftliches Erstarken der Faschisten wurde allerding nicht bei solchen Auseinandersetzungen, sondern mit in die Arbeiterklasse hineinwirkender Massenarbeit geleistet. Arbeitersport, Volksküchen, solidarische Nachbarschaftshilfe, theoretische Bildung und das kompromisslose Einstehen für das Interessen der Arbeitenden Massen in Parlamenten und Betrieben bildeten die Grundlage dafür, gesellschaftlicher Spaltung im Interesse der Faschisten entgegenzuwirken und das Klassenbewusstsein der Arbeiter zu stärken. Das Ziel der ersten konsequenten AntifaschistInnen war es nicht, die bürgerlich-liberale Ordnung gegen die Faschisten zu verteidigen, sondern diese Ordnung im Sinne eines revolutionären Sozialismus umzuwerfen und dabei vor Angriffen der rechten Konterrevolutionäre bestmöglich geschützt zu sein bzw. sich besonders gefährlicher Faschisten entledigen zu können.
Die massenweise, physische Vernichtung dieser Strukturen und ihrer Mitglieder durch den Hitlerfaschismus, sowie 80 Jahre antikommunistische Staatsräson der BRD seitdem haben dafür gesorgt, dass von diesem Erbe heute so gut wie nichts mehr existiert. Eine breite, an einer gemeinsamen politischen Linie ernsthaft interessierte Arbeiterbewegung gibt es in der BRD nicht mehr und so wurde auch Antifaschismus, vom notwendigen Mittel für die revolutionäre Organisierung der Massen, immer mehr zum politischen Selbstzweck. Einen materialistischen Faschismusbegriff, der das Erstarken rechtsextremer Tendenzen in der Gesellschaft nicht auf das faschistische Bewusstsein einzelner politischer Akteure, sondern auf die dem Kapitalismus inhärente Tendenz, sich im Krisenzustand durch faschistische Gewalt gegen objektive Interessen der Arbeiterklasse zu verteidigen zurückführt, vertreten heutzutage nur noch die wenigsten selbsternannten AntifaschistInnen.
So lehnt man den Faschismus zwar ab, aber in erster Linie auf moralischer Ebene. Von einem revolutionären Bewusstsein ist die „radikale Linke“ in der BRD zu großen Teilen so weit entfernt, dass man sich selbst darauf beschränkt, den liberalen Kapitalismus als das kleinere Übel gegen den faschistischen Kapitalismus zu verteidigen. Ohne die theoretische Einsicht, dass Liberalismus und Faschismus keine Gegensätze sind, sondern dass letzterer aus ersterem hervorgeht, begibt man sich also in ein Hamsterrad, indem die vermeintlich antifaschistische Arbeit nur dazu dient, die materielle Basis zu verteidigen, aus der der Faschismus sich in der Geschichte stets entwickeln konnte.
Ein solches liberales Verständnis von Antifaschismus findet sich zum Teil auch bei aktuell von Repressionen in den beiden genannten Verfahren betroffenen Personen. Ihnen muss jedoch trotz dieser Kritik zugutegehalten werden, dass sie sich trotzdem für die einzig konsequente Art des direkten Vorgehens gegen Faschisten entschieden haben: Kein Faschist wird durch Lichter- oder Menschenketten von seinem Weg zum Brandanschlag abgebracht, kein AfD-Wähler hat sich je die vielen inhaltsleeren Pappplakate auf bürgerlichen Anti-AfD Demos durchgelesen und sich im Anschluss doch noch einmal an der Wahlurne umentschieden. Pazifistischer bürgerlicher Antifaschismus läuft auf pure, individualistische Selbstdarstellung hinaus: Man läuft schön bunt durch irgendeine Innenstadt, ruft „Nazis raus!“ (wohin eigentlich?), man macht viele tolle Fotos und hat am Ende exakt nichts Handfestes gegen den Faschismus unternommen – außer sich selbst öffentlichkeitswirksam davon freizusprechen.
Dass antifaschistische Feuerwehrpolitik, also das Vorgehen gegen den Rechtsruck, ohne diesem geeint eine progressive, klassenbewusste Alternative entgegenstellen zu können, bei weitem keine ausreichende politische Praxis ist, sollte bis hierhin klar geworden sein. Professionell geplante und effektive militante Aktionen führen jedoch (im Gegensatz zu bürgerlicher Selbstdarstellung auf Demos oder Instagram) zu messbaren Ergebnissen. Es ist erwiesen, dass einflussreiche Nazikader dadurch in ihrer Arbeit erheblich eingeschränkt wurden und sie zum Teil sogar eingestellt haben. Diese Arbeit verdient um so mehr unseren Respekt und ungeteilte Solidarität, da die ausführenden Antifaschisten dafür ihre gesamte Existenz aufs Spiel setzen, wie Medienhetze und langjährige Haftstrafen für die betroffenen von Antifa-Ost und Budapest-Komplex zeigen.
Das politische Ziel für die nächsten Jahre, in denen das politische Klima in der BRD sich immer weiter braun-schwarz verdunkelnd wird, muss sein, diese Bereitschaft und Erfahrungen im Bereich des militanten Antifaschismus aus autonomen Kreisen mit dem historischen Bewusstsein und dem theoretischen Fundament der kommunistischen Bewegung im Land zu vereinen. Der Faschismus hat seine Wurzeln im liberalen Kapitalismus, hier muss er bekämpft werden. So notwendig es auch, allein aus purem Selbstschutz ist, Nazikader (zumindest vorrübergehend) kaltzustellen, muss antifaschistische Praxis weit darüber hinaus gehen: Echter Antifaschismus geht nur revolutionär, geht nur, wenn es endlich wieder eine Arbeiterbewegung im Land gibt, die in der Lage ist die berechtigte Wut der Massen in konstruktiver Politik umzusetzen und dem Kampf um die Straße einen Kampf um die Köpfe voranzustellen.
Wir rufen daher alle klassenbewussten ArbeiterInnen, alle KommunistInnen, alle AntifaschistInnen dazu auf, mit uns am 14.06. aus Leipzig nach Jena zu fahren! Die Solidarität mit den gefangenen AntifaschistInnen in Deutschland und Ungarn muss praktisch werden, gleichzeitig darf genau dieses politische Ziel niemals dazu umgemünzt werden, einen „demokratischen Rechtsstaat“ verteidigen zu wollen, der Nazis deckt und unterstützt (Halle, Hanau, NSU…) und gleichzeitig Antifaschisten verfolgt, sozial isoliert und für Jahre hinter Gittern verschwinden lässt!