Vom NSU, Verfassungsschutz und anderen mordenden Nazibanden
1. Vorgeschichte
Die ehemalige Rostocker Bürgerschaftspräsidentin Karina Jens (CDU) verweigerte dem NSU- Opfer Mehmet Turgut jahrelang ein würdiges Gedenken mit dem Hinweis: „Er war kein Rostocker und ist illegal hier gewesen.“ Die gleiche Frau bezeichnete die Pogrome von Lichtenhagen als „Ausrutscher nach der Wende.“
Wer sich mit den NSU-Morden beschäftigt, befasst sich immer gleichzeitig mit zwei Themen: Zum einem rechtsextremer Gewalt und ihren Kontinuitäten, gerade in Ostdeutschland nach der Annektion der DDR. Und zum anderen mit dem, was bürgerliche Medien als „Versagen der Ermittlungsbehörden“ bezeichnen. Doch diese Bezeichnung ist mehr als nur beschönigend. Am Beispiel NSU lässt sich gut erkennen, wie ein staatlicher Repressionsapparat, der nie entnazifiziert wurde, mit mordenden Nazibanden umgeht: Er baut sie mit auf.
Um den NSU einordnen zu können ist es wichtig, sich mit der jüngeren Geschichte der BRD auseinanderzusetzen. Faschistische Gewalt hat eine lange Geschichte im Nachkriegsdeutschland. Schon vor den berüchtigten „Baselballschlägerjahren“ der 1990er, in denen sich auch das NSU- Kerntrio politisierte, gab es regelmäßig von Nazis durchgeführte Mord- und Terroranschläge. Der Brandanschlag auf das Altenheim der israelitischen Kultusgemeinde in München 1970 tötete 7 hochbetagte Shoah- Überlebende, das Oktoberfestattentat 1980 verletzte 221 Personen und tötete 13, bei einem Brandanschlag auf das Wohnhaus türkischer Gastarbeiter in Duisburg starben ebenfalls 7 Einwohner- und dies sind nur 3 besonders tragische Beispiele, die Liste alltäglicher, gewalttätiger Übergriffe ist scheinbar endlos.
Einen neuen Aufschwung erlebten faschistische Gewalttaten mit dem Ende der DDR 1989. Erfahrene Nazikader aus dem Westen kamen in Massen nach Ostdeutschland und fanden Millionen von desillusionierten jungen Männern vor, denen ihre gesamte realsozialistische Jugendkultur, Karriereaussichten und ihre sozialen Sicherheiten innerhalb weniger Wochen unter den Füßen weggezogen worden war. Auch rechtes Gedankengut war den Ostdeutschen natürlich nicht vollkommen fremd, schließlich wurde die bloße Existenz von Faschisten und faschistischer Gewalt im Osten von der revisionistischen SED- Regierung und ihrer Stasi nicht nur geleugnet, sondern aktiv vertuscht. Dennoch saßen Faschisten für das Verwenden von Naziparolen, Hitlergrüßen und Gewalttaten zum Teil jahrelang in DRR-Gefängnissen ein. Entsprechend groß war ihre Motivation, sich dafür bei „den Roten“ zu revanchieren. Die Resultate aus dem gewaltbereiten Personenpotential, in Organisation und Anleitung geschulten Nazikadern aus dem Westen und dem weit verbreiteten Gefühl, ohnehin nicht noch mehr verlieren zu können, ließen nicht lange auf sich warten.
Zwischen dem 17. und dem 23. September 1991 kam es zu einem Pogrom in Hoyerswerda, bei dem ein Mob von größtenteils sehr jungen Faschisten vietnamesische Händler, das Wohnheim in das diese zu flüchten versuchten, sowie eine Geflüchtetenunterkunft angriffen. Die Bullen griffen kaum ein und brauchten 2 Stunden, um die Unterkunft gegen Steine und Molotov- Cocktails werfende Nazis abzuriegeln, mindestens 32 Geflüchtete wurden verletzt. Die Vertragsarbeiter wurden evakuiert und in Bussen nach Frankfurt am Main und Berlin gebracht, von wo fast alle direkt in ihre Heimatländer abgeschoben wurden. Auch der Großteil der Geflüchteten floh auf eigene Faust aus Hoyerswerda und suchte in anderen Städten nach Unterkünften.
Die Faschisten feierten ihren Erfolg und bezeichneten Hoyerswerda in ihrer Propaganda in Anlehnung an die NS- Vokabel „judenfrei“ als „erste ausländerfreie Stadt Deutschlands“. Vor allem aber hatten sie gelernt: Vor Staat und Polizei brauchten sie keine Angst zu haben, die „Ausländer raus“- Parolen der Nazis wurden schließlich vom Staat direkt umgesetzt, von den Angreifen wurden zwar 82 festgenommen, aber nur 4 verurteilt. Allein am ersten Wochenende nach den Pogromen von Hoyerswerda gab es in ganz Deutschland 78 faschistische Überfälle mit unzähligen Verletzten.
Damit waren die sogenannten „Baseballschlägerjahre“ eingeläutet, die übrigens kein rein ostdeutsches Phänomen waren. Von Anfang der 1990er bis Anfang der 2000er prügelten, brandschatzten und mordeten sich Nazis in seit dem Zweiten Weltkrieg unbekannten Ausmaß durch die gesamte BRD. Die Pogrome in Lichtenhagen mit bis zu 3000 Beteiligten, der Mordanschlag in Solingen mit 5 Toten und der Mordanschlag in Mölln mit 3 Toten fielen alle in einen Zeitraum von nur 4 Monaten (August- November 1992)! In der Reaktion des Staates zeigten sich die gleichen Muster, die auch heute noch viel zu vertraut sind: Die Bullen sind nicht erreichbar, schauen zu oder prügeln sogar mit (für das euphemistisch „Himmelfahrtskrawalle“ genannte Pogrom in Magdeburg 1994 wurden sie sogar angeklagt- und natürlich freigesprochen).
Die Politik ist angeblich schockiert, spricht von „Jugendbanden“ , „sozial schwachen, bildungsfernen Einzeltätern“ und weigert sich jedes faschistische Muster, geschweige denn eine Kontinuität aus dem Hitler-Faschismus zu erkennen. Kanzler Helmuth Kohl lässt sein unkommentiertes Nicht-Erscheinen bei den Trauerveranstaltungen für die Opfer von Mölln und Solingen z.B. durch einen Regierungssprecher folgendermaßen erklären: „Diese schlimme Sache wird dadurch nicht besser, dass wir in Mitleidstourismus ausbrechen.“
Die herrschende Politik zog mit solchen und Ähnlichen Verharmlosungen und Relativierungen mit und beugte sich der Gewalt von der Straße: Am 06. Dezember 1992 wird mit einer als „Asylkompromiss“ bezeichneten Verfassungsänderung das Asylrecht in Deutschland komplett ausgehöhlt: Neuerungen betreffen u.a. die Kriterien, um als schutzbedürftig zu gelten (dazu gehört auch die „Sichere-Drittstaaten“- Regelung) und das neue Asylbewerberleistungsgesetz.
2. Die Taten des NSU
„Ich persönlich meine mit bewaffnetem Flügel die Armee von B&H. Es gibt mehrere Wege Angst und Schrecken bei unseren Gegnern zu verbreiten. Einschüchtern, drohen und schlagen haben für die roten Bastarde über Jahre hinweg Tag für Tag geholfen. Glaubst du nicht auch, dass die Zeit der Rache längst überfällig ist?“
(Auszug aus der Blood and Honor Broschüre „The Way Forward“, in der Aufbauprinzipien für bewaffnete Gruppen programmatisch festgehalten wurden. Die Broschüre diente als Blaupause für Combat18 und später den NSU).
Das Kerntrio des NSU trat erstmals mit dem sogenannten Thüringer Heimatschutz organisiert in Erscheinung und war für diesen bis zu ihrem Untertauchen in der „Sektion Gera“ aktiv. Der THS war über die 1990er Jahre hinweg vernetzt mit allen relevanten deutschen, sowie mit zahlreichen internationalen Nazistrukturen (u.a. B&H). Seine Praxis war breit gefächert, von Angriffen auf politische oder rassifizierte Gegner, über Organisation von Aufmärschen (z.B. Rudolf Heß – Gedenkmarsch) bis hin zu alltäglicher Agitationsarbeit mit Ferienprogrammen und Fußballturnieren.
Schon während ihrer Zeit im THS tritt das Trio als militante Faschisten auf und sammelt erste Vorstrafen, schon damals ging von ihnen und ihrem Umfeld eine potentiell tödliche Gefahr aus: Bei einer Razzia 1997 hoben die Bullen beim THS das bis dahin größte „private“ Waffenlager in der Landesgeschichte Thüringens aus. Auch Ralf Wohlleben, die spätere Waffenquelle für das Trio, war bereits in der gleichen Gruppe organisiert.
Neben den vier, zum Teil bis heute von Ermittlungsbehörden als „isolierte Gruppe“ bezeichneten, Haupttätern des NSU in unterschiedlichen Zeiträumen im THS organisiert: 40 V-Leute von 3 deutschen Geheimdiensten. Diese 40 machten ca. ein Viertel der gesamten Mitgliederstärke aus, sie bekamen steuerfreies Gehalt und in einigen Fällen Computer, Anwaltskosten oder sogar KFZ-Reparaturen von ihren Geheimdiensten bezahlt. Die Informationen die sie weitergaben unterlagen keinerlei Kontrolle auf Richtigkeit (zum Thema V- Leute später mehr).
1998 wurden in den Wohnungen des Kerntrios in Jena 4 scharfe Rohrbomben, 1,4kg TNT und jede Menge faschistisches Propagandamaterial sichergestellt und gegen alle 3 Haftbefehle erlassen. Durch wundersame Umstände waren die drei jedoch schon zwei Tage zuvor untergetaucht und bereitete sich darauf vor, durch Mordanschläge die Gesellschaft zu verunsichern und so einen Systemwechsel vorzubereiten.
Wir gedenken und erinnern an:
Enver Şimşek
Am 09. September 2000 mit 8 Schüssen aus zwei Pistolen in einem seiner mobilen Blumenstände in Nürnberg erschossen. Enver wurde 38 Jahre alt, seiner Frau wurde von Bullen das Bild einer blonden Frau gezeigt, mit dem Hinweis ihr ermordeter Mann hätte sie mit dieser Frau betrogen und eine neue Familie gegründet. Die Geschichte war frei erfunden, sollte die Witwe emotional brechen und zu Geständnissen über den angeblich „familiären“ Hintergrund des Mordes bewegen
Abdurrahim Özüdoğru
Am 13. Juni 2001 in seiner Änderungsschneiderei in Nürnberg mit 2 Kopfschüssen ermordet. Abdurrahim wurde 49 Jahre alt.
Süleyman Taşköprü
Am 27 Juni 2001 im Obst- und Gemüseladen seines Vaters in Hamburg erschossen. Süleyman wurde 31 Jahre alt und hinterließ eine 3- jährige Tochter. Die Bullen ermittelten angebliche Freunde Süleymans im Rotlichtviertel und verfolgten lange ausschließlich diese Spur, die Ermittlungsakten charakterisieren ihn als „ganz normaler türkischer Mann, (…) leidenschaftlich und dominant vom Wesen“.
Habil Kılıç
Am 29. August 2001 in seinem Obst- und Gemüsehandel in München erschossen. Habil wurde 38 Jahre alt.
Mehmet Turgut
Am 25. Februar 2004 erschossen hinter der Theke eines Dönerladens, an der er spontan eingesprungen war, um einem Freund für den Vormittag auszuhelfen. Mehmet wurde nur 25 Jahre alt. In zahlreichen Akten und Zeitungsartikeln wurde aufgrund einer Verwechslung der Name seines Bruders Yunus genannt, der Fehler wurde erst 2011 korrigiert.
İsmail Yaşar
Am 09. Juni 2005 in seinem Dönerladen in Nürnberg erschossen, er wurde 50 Jahre alt. Nach dem Mord wurde sein Laden noch einige Zeit von Zivibullen weiter betrieben, weil das BKA von einer Verbindung der Tat zu „türkischen Drogendealern in den Niederlanden“ ausging.
Theodoros Boulgarides
Am 15. Juni 2005 in den Geschäftsräumen seines Schlüsseldienstes erschossen, den er erst wenige Wochen zuvor eröffnet hatte. Er wurde 41 Jahre alt und hinterließ zwei Töchter. Ein Münchener Boulevardblatt berichtete über seinen Mord unter dem Titel „Die Türken- Mafia schlägt wieder zu“.
Mehmet Kubaşık
Am 04. April 2006 in seinem Kiosk in Dortmund erschossen. Mehmet war dreifacher Familienvater und wurde 39 Jahre alt. Unter anderem weil der Kiosk sich recht nahe an einem lokalen Nazitreffpunkt befand, ging die Familie von Anfang an von einem rechtsextremen Motiv aus, dies wurde aber von den Bullen ignoriert.
Halit Yozgat
Am 06. April 2006 in seinem Internetcafé erschossen. Halit wurde nur 21 Jahre alt, zum Tatzeitpunkt hätte eigentlich sein Vater arbeiten sollen, hatte sich aber zum Schichtwechsel leicht verspätet. Ein Mitarbeiter des Thüringer VS war zur Tatzeit nachweislich anwesend (s. nächstes Kapitel)
Die ersten Sprengstoffanschläge in Nürnberg und Köln
Am 23. Juni 1999 explodierte eine, zu einer Rohrbombe umgebaute Taschenlampe auf der Toilette eines türkischstämmigen Restaurantbetreibers. Der Mann überlebte schwer verletzt, die Bullen ermittelten lange Zeit ausschließlich gegen ihn selbst und warfen ihm mangelnde Kooperation vor. Die Ermittlungen wurden nach einem halben Jahr und ohne je auf einen politischen Hintergrund eingegangen zu sein eingestellt. Erst seit 2017 wird die Tat offiziell als erster Anschlag des NSU bezeichnet.
Am 19. Januar 2001 explodierte in einem Lebensmittelgeschäft in Köln ein Sprengsatz in einer schwarzen Metalldose, die die Täter zwischen den Waren abgestellt hatten. Die Tochter des Inhabers wurde dadurch schwer verletzt, auch hier zeigte sich das gleiche Muster, wie zuvor in Köln: Die Telefone, Finanzen und Geschäfte der Familie wurden für 5 Monate überwacht, danach wurden die Ermittlungen eingestellt. Ein rechtsextremes Tatmotiv war nie Gegenstand der Ermittlungen.
Den Anschlag in der Keupstraße Köln 2004
Am 09. Juni 2004 explodierte eine vom NSU deponierte Nagelbombe in der belebten Keuptstraße in Köln. Die Detonation und die umherfliegenden Nägel verletzten 22 Menschen, einige davon lebensbedrohlich. Scotland Yard informierte das BKA, das Nagelbombenanschläge ohne Bekennerschreiben in Großbritannien typischerweise von Combat18 (internationaler, bewaffneter Arm von B&H) genutzt würden, die Tat ist fast lückenlos auf Überwachungskameras dokumentiert, die Aufnahmen wurden aber erst im Rahmen der internen NSU- Ermittlungsausschüsse 2013 vollständig ausgewertet.
Obwohl Angehörige und Anwohner von Anfang an von einem rechtsextremen Hintergrund ausgingen und sich diese Hinweise mit denen der Briten deckten, wies das LKA noch während der Spurensicherung vor Ort alle Mitarbeiter an, die Tat weder gegenüber den Medien, noch intern als terroristischen Akt zu bezeichnen, weil es dafür keine Hinweise gäbe und rückte von dieser Linie nicht mehr ab. Stattdessen gingen verdeckte Ermittler noch mindestens 2 Jahre nach der Tat gegen Betroffene, ihre Familien und ihre Nachbarn vor, in der Hoffnung wilde Theorien von Waffenschmuggel und Drogenhandel stützen zu können.
Der Tatort wurde nur ein einziges Mal von einem Bundespolitiker besucht: Vom damaligen SPD- Chef Sigmar Gabriel, kurz nach der Selbstenttarnung des NSU.
3. Nazis morden, der Staat macht mit – der NSU und die deutschen Geheimdienste
„Vor dem Hintergrund, dass die Tötung von Menschen in unserem Kulturkreis mit einem höheren Tabu belegt ist, ist abzuleiten, dass der Täter hinsichtlich seines Verhaltens weit außerhalb des hiesigen Normen- und Wertesystems verortet ist.“ Daher sei es wahrscheinlich, dass „(…) die Täter im Ausland aufwuchsen oder immer noch dort leben“.
(Auszug aus den Ermittlungsakten des LKA Baden Württemberg)
Die Praxis der Landesämter bzw. des Bundesamtes für Verfassungsschutz im großen Stil Rechtsextreme für die verdeckte Informationsbeschaffung einzusetzen und zu bezahlen war nie unumstritten. Schon 1996 warnte das BKA vor einem „Brandstiftereffekt“: der Gefahr, das Quellen des VS durch Geldmittel und Rechtsschutz zu faschistischer Gewalt angestiftet werden könnten. Gerade über diese sogenannten V-Leute erhielten andere Ermittlungsbehörden aus „Quellenschutzgründen“ keinerlei Informationen vom VS.
Aus einigen Fällen ist bekannt, das sich die VS-Ämter über V-Leute aktiv am Aufbau besonders radikaler Kleingruppen mitbeteiligten, erwiesen ist das z.B. für den Baden- Württemberger Ableger des KKK, angenommen wird es auch für den Thüringer Heimatschutz. Offizielle Begründung für die Taktik war, dass rechte Strukturen so für den VS transparenter und später leichter zu verbieten wären.
Die Geheimdienste sind in ihrer Arbeit generell noch einmal nebulöser und unseriöser als gewöhnliche Bullen, es gibt daher kaum verlässliche Quellen, geschweige denn Beweise für die Arbeit, die sie vor dem NSU für die faschistische Bewegung in Deutschland geleistet haben. Die Ereignisse rund um den NSU- Komplex führten das erste mal immerhin zum kläglichen Versuch einer Aufarbeitung, auch wenn hier nach wie vor der Großteil an Informationen geschreddert oder verschwiegen wurde, lassen sich die Verstrickungen an einigen Beispielen gut darstellen:
1. Kai Markus Dalek: Mitorganisator der internationalen Rudolf Heß- Gedenkmärsche, verbreitete in der Szene das sogenannte „Anti-Antifa-Konzept“ (Strategiepapier und Outcall in einem, führte zu mehreren Hetzjagden, Übergriffen und Mordversuchen auf Antifaschisten). War der wichtigste Führungskader für die rechte Szene in Nordbayern, der NSU hatte gleich zwei Telefonnummern von ihm. Zwischen 1987 und 1998 erhielt er für Arbeit als V-Mann insgesamt 150.000 DM vom Bayrischen VS und blieb für sämtliche Aktivitäten komplett straffrei.
2. Michael See von Dolsperg: Bekam 1991 drei Jahre Knast wegen versuchtem Totschlag und mehreren schweren Körperverletzungen und wurde dann direkt ab 1994 vom VS bezahlt (66.000 DM zwischen 1995 und 2001). Beteiligte sich an der Unterstützung für den NSU im Untergrund und verbreitete B&H- Strategiepapiere. Seine Akten wurden 2011 vom BfV restlos vernichtet, auch er blieb straffrei.
3. Thomas Starke: Führendes B&H- Mitglied in Sachsen, Ex von Beate Zschäpe und V-Mann der Berliner Polizei. Involviert in Beschaffung von Waffen, Geld und Sprengstoff für den NSU, wurde dafür sogar angeklagt, aber natürlich nicht verurteilt.
4. Tino Brandt: Ebenfalls Mitorganisator von internationalen Heß- Gedenkmärschen, Gründer der Anti- Antifa Ostthüringen (in dem das NSU- Trio Mitglied war), nahm später als führender Kopf des Thüringer Heimatschutzes an mehreren internationalen Veranstaltungen (u.a. paramilitärische Übungen) teil. Versorgte NSU mit Geld und Informationen, beides erhielt er u.a. vom Thüringer VS. Dieser dankte ihm seine Tätigkeit nämlich mit Zahlungen von umgerechnet insgesamt 140.000 Euro und der Einstellung von über 35 Strafverfahren gegen ihn. 2014 wurde er zu 5 Jahren Haft verurteilt, allerdings wegen sexuellem Missbrauch von Kindern und Jugendlichen, sowie Zwangsprostitution.
5. Andreas Temme: Einer der V- Personen- Führer des VS- Hessen, also kein V- Mann sondern normaler Mitarbeiter beim VS. Wurde beauftragt, seine V- Leute zu der NSU- Mordserie zu befragen und verschickte diesbezüglich Mails. Am 06. April 2006 telefonierte er um 16:10 Uhr ungewöhnlich lange mit einem der Empfänger der Mail und begab sich direkt danach in ein Internetcafé, in dem er sich um 17:01 ausloggte. Unmittelbar danach fand Ismail Yozgat seinen erschossenen Sohn hinter der Ladentheke eben jenes Internetcafés. Temme meldete sich danach nicht auf Zeugenaufrufe und wurde am 26. April 2006 als dringend tatverdächtig festgenommen. In seinem Arbeitszimmer finden sich Massen an Nazipropaganda, u.a. ein „Lehrplan für die weltanschauliche Erziehung in der SS“. Obwohl er vor dem Untersuchungsausschuss im Bundestag und vor Gericht in München erwiesenermaßen gelogen hat, ist Temme immer noch auf freiem Fuß, er wurde lediglich versetzt.
6. Klaus Dieter Fritzsche, der damalige Vizepräsident des BfV, antworte 2011 auf eine schriftliche Anfrage dazu, ob das rechtsextreme Massaker in Norwegen ihn dazu bewegen würde auch in Deutschland die Terrorismusabwehr neu zu überdenken: „Abgesehen vom islamistischen Terrorismus gibt es derzeit keine Personengruppen, die terroristische Ziele in Deutschland aktiv vertreten und verfolgen.“ Zur gleichen Zeit bezahlten seine VS-Ämter nachweislich V-Leute, die eine solche Zielsetzung nicht nur in Propagandaschriften vertraten, sondern auch praktisch verfolgten, wenige Monate später enttarnte sich auch der NSU selbst. Im Untersuchungsausschuss vor dem Bundestag sorgte Fritzsche für einen Eklat, als er sich heftig dagegen wehrte, seine Behörde(n) überhaupt unter irgendeinen Verdacht der Beteiligung oder indirekten Mithilfe zu stellen. Seine verbalen Entgleisungen gegenüber den Abgeordneten gingen so weit, dass die Sitzung für 20 Minuten unterbrochen werden musste. Fritzsche erklärte „Aufklärung“ und „Staatswohl“ stünden in einem „Spannungsverhältnis“, es dürften „keine Staatsgeheimnisse“ bekannt werden, die ein „Regierungshandeln unterminieren (verhindern, beeinträchtigen) könnten“. 2014 wurde Fritzsche zum Dank dafür von Merkel persönlich zum Staatssekretär und Beauftragten für die Nachrichtendienste des Bundes befördert- der höchsten Beamtenposition für die innere Sicherheit in der BRD.
Die „Ermittlungen“ zu den NSU- Morden haben diesen Namen von Anfang an nie verdient, den scheinbar endlosen Hinweisen auf Rechtsterrorismus (zum Teil von den Betroffenen direkt gegeben) wurde nie nachgegangen. Obwohl schon 1998 klar war, dass mit dem Trio eine Gruppe bestens vernetzter, äußerst gewaltbereiter und im Bombenbau erfahrener Nazis untergetaucht war, hieß es bei den Ermittlungsbehörden noch bis kurz vor der Selbstenttarnung des NSU, es könne in der BRD überhaupt keine rechtsterroristische Gruppen geben, lediglich lose Einzeltäter und ihr Umfeld.
4. Nirgendwo Gerechtigkeit – der Umgang mit Betroffenen, Hinterbliebenen und dem Gedenken an die Opfer
Das Umfeld sämtlicher Opfer und Betroffener des NSU- Terrors erzählt durchweg die gleichen Geschichten, von rassistischen und arroganten Beamten bei Verhören, von weiteren unangekündigten Besuchen, Verhören und sonstigen Belästigungen durch die Repressionsorgane. In mehreren Fällen wurden die Betroffenen, ihre Familienangehörigen und Nachbarn sogar beschattet, überwacht und abgehört, während die Nazis ungehindert weiter mordeten.
Durch die Schlagzeilen von der „Mordenden Türkenmafia“ und die ständigen Polizeimaßnahmen vor Ort wurden die Händler in der Kölner Keupstraße nachhaltig wirtschaftlich und in ihrem Ruf geschädigt, eine Entschädigung erhielten sie dafür nie, obwohl sie sogar versuchten diese einzuklagen. Einer der Betroffenen aus Köln versuchte, sich wenigstens die Kosten für die ständigen Fahrten zum Prozess nach München und die Kinderbetreuung für diese Zeit erstatten zu lassen. Er klagte sich durch mehrere Instanzen, schließlich gab das OVG-Münster dem Bundesjustizministerium Recht: Der Betroffene musste nicht nur die Fahrtkosten zahlen, sondern auch die Kosten für den gesamten Prozess rund um die Klärung der Kostenfrage. Tatsächlich blieb der Großteil der aus ganz Deutschland angereisten Betroffenen, die zum Teil auch als Zeugen aussagten, auf Kosten für Fahrt und Unterkunft in München sitzen.
Die Zwickauer Oberbürgermeisterin Pia Findeiß (SPD) schaffte es, in ihrer Rede wenige Tage nach der Selbstenttarnung des NSU nicht einen einzigen Namen eines Opfers zu nennen, dafür aber Zwickau für seine Geschichte und seine Vorzüge als Wirtschaftsstandort zu loben. Auch die Stadt Kassel weigerte sich, die Holländische Straße, in der Halit Yozgat aufgewachsen war, gewohnt und gearbeitet hatte in Halitstraße umzubennen. Sie benannte stattdessen einen winzige, bisher namenlose Wiese in „Halitplatz“ um, u.a. weil die Änderung des Straßennamens angeblich den „sozialen Frieden im Stadtteil gefährden“ würde.
Diese sehr deutsche Tendenz, faschistische Gewalt selbst in ihren extremsten Formen schnellstmöglich unter den Teppich kehren zu wollen, traf auch die ersten linken Demos, die ihr Entsetzen über die aufgedeckten Verstrickungen zwischen Faschisten und Repressionsorganen zum Ausdruck bringen wollten: Als diese Verstrickungen auf einer Demo in Berlin erstmals in einem solchen Kontext öffentliche angeprangert wurden, stürmten die Bullen während eines Redebeitrages den Lauti und beschlagnahmten sämtliche Technik, noch bei einigen weiteren Demos kurz danach wurden Redner und Träger von Transpis mit entsprechenden Inhalten vorläufig festgenommen und bekamen Anzeigen, weil sie „den Rechtsstaat verunglimpfen“ würden. Erst einige Monate nach dem ersten öffentlichen Aufschrei 2011 ergingen die ersten Urteile für die Demonstranten und ihr Recht auf Meinungsfreiheit.
5. Fazit
Diese paar Seiten können nur einen winzigen, oberflächlichen Einblick in die Ereignisse und Verstrickungen rund um den NSU- Komplex geben. Doch schon anhand dieser ausgewählten und zusammengefassten Beispiele sollte uns allen zwei Dinge besonders klar werden: Zum einen ist die faschistische Bedrohung in Deutschland ist sehr viel größer und vor allem sehr viel tödlicher, als es in den Debatten um Videos aus Sylt oder Wahlergebnisse der AfD durchscheint. Und wer gegen diese Gefahr vorgeht, kann und darf sich auf den Staat und seine Organe nicht verlassen, denn der NSU und seine Mitstreiter sind keine übriggebliebenen Relikte aus dem Hitlerfaschismus. Die materiellen Grundlagen für sein Entstehen und seine Unterstützung durch VS und Polizei sind in der gegenwärtigen, kapitalistischen Gesellschaftsordnung der BRD, sowie deren staatlichem Überbau verortet. Tödliche Gewalt, ob durch organisierte Nazis oder durch Faschisten in Polizeiuniform, sind daher auch keine bedauerlichen Einzelfälle, sondern im System veranlagt und werden daher auch bis zu dessen Sturz immer wieder vorkommen.
Wir sind es den Opfern faschistischer Gewalt von Auschwitz bis Haunau schuldig, gegen jede Form von faschistischer Organisierung und Praxis, sowie deren Unterstützung durch den Staat und seine Organe mit allen notwendigen Mitteln vorzugehen.