Wenn sich dem Thema Gewalt an Frauen gewidmet wird, wird zurecht zunächst auf die katastrophalen Statistiken zu Übergriffen, Häuslicher Gewalt oder der jährlich wachsende Zahl der Freier geschaut. Und bei dem Ausmaß, das die Ausbeutung und Unterdrückung der Frau auch in diesem Land täglich annimmt, ist es ernüchternd wie vereinzelt Protest und Widerstand dem Ganzen entgegengetreten wird.
Gewalt gegen Frauen ist ein Thema über das kaum jemand gerne spricht. Und das obwohl es unbestreitbar so allgegenwärtig ist, wie eh und je.
Das Thema wird so sehr totgeschwiegen, dass es kaum belastbare Zahlen und Statistiken gibt. Die Berichte, die veröffentlicht werden,wie zum Beispiel das „Lagebild Häusliche Gewalt“ des BKA, scheitern trotz des bereits erschreckenden Umfangs grandios daran ein ansatzweise vollständiges Bild zu zeichnen. Eine riesige Dunkelziffer, all jener, die aus Angst vor dem Täter, um ihre Familien oder aus finanzieller Abhängigkeit, die keine Anzeigen erstatten, werden nicht berücksichtigt. Und vor allem finden die handfesten ökonomischen Hintergründe, die zum einen patriarchale oder häusliche Gewalt hervorrufen und zum anderen Verhindern, dass diese überhaupt zur Anzeige kommen, keinen Platz darin.
Die Frau im Kapitalismus
Der Kapitalismus hat in verschiedener Hinsicht großes Interesse daran, patriarchale Rollen- und Geschlechterbilder und auch die daraus resultierenden Zustände, aufrecht zu erhalten. Auch wenn das Patriarchat weitaus älter ist als der Kapitalismus, so wurde es doch über die Jahrtausende aufrecht erhalten und an die vorherrschenden Produktionsverhältnisse angepasst und spielt eine wichtige Rolle für das Fortbestehen der Klassengesellschaft. Je vollkommener diese Teilung (der Arbeitsfunktionen) war, desto abhängiger wurde die Frau, bis schließlich ihre Knechtschaft eine vollendete Tatsache wurde. Formal war die Einführung des Privateigentums der Wendepunkt eines Prozesses, in dem Frauen aus der produktiven Arbeit ausgeschlossen wurden. (Kollontai: Frauen in der gesellschaftlichen Entwicklung).
Somit ist das Patriarchat zwar älter als der Kapitalismus, das Patriarchat jedoch nicht älter als Klassengesellschaften, sondern hat sich im Zuge der Enstehung der ersten Klassengesellschaft etabliert. Wenn wir uns damit auseinandersetzen wie die Unterdrückung der Frau überwunden werden kann, ist das eine sehr relevante Untersuchung.
Reproduktionsarbeit
Frauen sind in Deutschland, wie jedem anderen kapitalistischen Land, einer enormen Doppelbelastung ausgesetzt. Nicht nur, dass die meisten von ihnen in der Lohnarbeit ausgebeutet werden, auch im privaten setzt sich diese, durch die aufgezwungene Reproduktionsarbeit, fort.
Die Aufgaben der Reproduktionsarbeit, werden von Frauen unbezahlt übernommen. Ihnen wird von klein auf vorgelebt und anerzogen, dass sie das emotionale, das sich-kümmernde Geschlecht seien. Sie sollen Kinder gebären und aufziehen, den Haushalt schmeißen, Essen zubereiten, putzen und so weiter. Außerdem sollen sie als emotionale Stütze für (Ehe-)Partner und Familie dienen, ungeachtet der eigenen Probleme und Belastungen.
Kurz: sie sollen all jene Aufgaben kostenlos verrichten, die nötig sind um für die stetige Erneuerung der arbeitenden Klasse zu sorgen. Eine fürs Kapital essenzielle Aufgabe, da ohne sie langfristig keine proletarische Arbeitskraft ausgebeutet werden kann.
Dadurch, dass auch das Gebären und Aufziehen von Kindern Teil der Sorgearbeit sind, wird nicht „nur“ die aktuelle, sondern auch die kommende Generationen von ArbeiterInnen für die imperialistische Ausbeutungsmaschinerie erhalten.
Im Zuge dessen schränkt der kapitalistische Staat, ebenso wie andere Klassengesellschaften vor ihm, die körperliche Selbstbestimmung von Frauen massiv ein. Nach §218 StGB gilt ein Schwangerschaftsabbruch in Deutschland grundsätzlich als Straftat, ist lediglich unter gewissen Bedingungen straffrei. Im Medizinstudium werden Schwangerschaftsabbrüche nicht gelehrt und selbst nach der Abschaffung des §219 StGB der die „Werbung“ für Schwangerschaftsabbrüche verbot, ist die reele Versorgungslage desaströs. Viele Betroffene müssen riesige Strecken für die reine Chance zurücklegen und Ärzt:innen, die informieren oder Abbrüche vornehmen gehen in den letzten Jahren in Rente, dazu kommt, dass die Kosten in der Regel selbst getragen werden müssen. Die Entscheidung ein Kind zu bekommen oder nicht, ist also nicht nur die eigene, auch die herrschende Klasse möchte hier mitreden. Die Selbstbestimmung von Frauen wird also nebensächlich, neben den Belangen des Kapitals.
Diese Sorgearbeit ist also für das Kapital von großer Bedeutung. Indem Frauen die gesellschaftlich notwendige Reproduktion der Arbeitskraft aufgebürdet wird, sichern sich die Kapitalisten die ungestörte Vermehrung ihres Reichtums.
Eine Vergesellschaftung von Sorgearbeit, wie wir sie anstreben, liegt damit nie im Interesse der Herrschenden, da es sich schlichtweg nicht rentiert. Das Wohlergehen der (weiblichen) Bevölkerung wird hier, wie so oft, den Bedürfnissen des Kapitals untergeordnet.
Im Aufbau des Sozialismus ist dies einer der grundlegendsten und wichtigsten Punkte, um es Frauen möglich zu machen am Aufbau gleichwertig teilzunehmen. „Diese ökonomische Selbstständigkeit der Arbeiterin macht die Frau allmählich zur Genossin und zum aktiven und bewussten Mitglied ihrer Klasse.“ (Kollontai: Mutterschutz)
Lohnarbeit
Dazu kommt, dass die meisten proletarischen Frauen keineswegs „nur“ in der familiären Reproduktion tätig sind. Im Gegenteil, 77% der Frauen in Deutschland sind erwerbstätig neben den ihnen aufgezwungenen Arbeiten im Haushalt. Aus dieser Doppelbelastung ergibt sich auch eine ständig schlechtere Stellung im Arbeitsleben, da vielen schlicht die Zeit für einen Vollzeitjob fehlt. Dazu kommt, dass Frauen aufgrund von Schwangerschaft oder Menstruationsbeschwerden und der damit verbundenen Krankentage, für die gnadenlose Verwertungsmaschinerie als „unzuverlässige Arbeitskräfte“ gelten.
Als Resultat dessen arbeiten nur rund 34% der Frauen in Deutschland in Vollzeit, ein Großteil arbeitet in Teilzeit oder Minijobs. Werden sie arbeitslos finden sie statistisch gesehen schwieriger eine neue Anstellung als ihre männlichen Kollegen. Auch arbeiten Frauen überdurchschnittlich oft in Gesundheits- oder sozialen Berufen, die neben der typischen Unterbezahlung, eine enorme psychische Belastung bedeutet. Eine Belastung, die sich wie eben gezeigt, in der (emotionalen) Reproduktionsarbeit im privaten oder familiären Umfeld fortsetzt.
Und auch nach Jahrzehnten doppelter Arbeit, sind Frauen besonders oft von Altersarmut betroffen. 2021 mussten rund 38% aller Rentnerinnen in Deutschland mit weniger als 1000€ im Monat auskommen, durchschnittlich bekommen sie 26% weniger Rente. Zusätzlich steht die Absicherung von Frauen deutlich häufiger unter Beschuss, so wird im Zuge der aktuellen Spardebatte auch diskutiert die mickrige Mütterrente abzuschaffen, außerdem soll das Elterngeld regelmässig gekürzt werden.
Das Kapital profitiert also von der gesellschaftlichen Rolle der Frau, zum einen durch die Ausbeutung ihrer Arbeitskraft, zum anderen durch ihre unbezahlte Reproduktionsarbeit. Das Interesse daran, patriarchale Ideologie innerhalb der Gesellschaft aufrecht zu erhalten und emanzipatorische Bewegungen zu unterdrücken, ist dementsprechend hoch.
Ganz zu schweigen davon, dass die Spaltung der arbeitenden Klasse entlang nationaler oder geschlechtsspezifischer Linien immer im Interesse der Herrschenden ist.
Finanzielle Abhängigkeit und Verfestigung patriarchaler Rollenbilder
All dies führt dazu, dass Frauen öfter armutsgefährdet oder finanziell abhängig sind. Zwei Drittel aller Frauen in Deutschland können sich langfristig nicht selbst finanzieren, verlieren sie ihren Job, haben sie keine Rücklagen auf die sie zurückgreifen können. Finanzielle Abhängigkeiten in Beziehungen sind als Resultat der gesellschaftlichen Arbeitsteilung völlig normal.
Das daraus resultierende Machtverhältnis innerhalb festigt in verschiedenster Hinsicht die ohnehin bestehenden patriarchalen Rollenbilder, Männer fühlen sich in ihrer Rolle als Familienoberhaupt und Entscheidungsträger in wichtigen Fragen bestätigt. Auch dass sie versuchen diese Machtposition durch Gewalt zu festigen, ist für viele Frauen traurige Realität. In einer Studie von 2014 geben mehr als 20% der befragten Frauen an, in einer aktuellen oder vergangenen Beziehung Gewalterfahrungen gemacht zu haben.
Diese finanzielle Abhängigkeit innerhalb von Beziehungen begünstigt nicht nur patriarchale oder häusliche Gewalt, sondern erschwert zusätzlich oft die Flucht vor dieser. Gewalttätige Partner setzen meist alles daran, ihre Partnerinnen sozial zu isolieren. Dazu kommt, dass die finanziellen Mittel eine Trennung oft beinahe unmöglich machen. Nicht nur muss sie den psychischen Belastungen von häuslicher Gewalt und Trennung standhalten, sie muss außerdem trotz prekärer finanzieller Lage eine Wohnung, sowie im Zweifelsfall einen neuen Job und Kinderbetreuung organisieren. Aufgaben, die auch ohne den enormen psychischen Druck schwierig genug sind. Dass oft auch Scheidungs- oder Sorgerechtsstreitigkeiten, sowie eine psychologische Aufarbeitung der erfahrenen Gewalt nötig werden, erschwert die Trennung zusätzlich.
Dass gerade getrennt lebende oder allein erziehende Mütter, den Unterhalt für die gemeinsamen Kinder oft mühsam erkämpfen müssen, kommt hier noch dazu.
Wie sehr diese Rollenbilder auch in unserer vermeintlich weltoffenen, progressiven Gesellschaft in den Köpfen der Menschen verankert sind, zeigt sich nicht nur am Beispiel der stetig steigenden Zahlen zu häuslicher Gewalt in Deutschland, aus den „Lagebild Häusliche Gewalt“ Berichten des BKA geht ein ca. 20% Anstieg in den letzten fünf Jahren hervor. Auch Studien, wie zum Beispiel eine von Plan International 2023 durchgeführte, kommen zu ähnlich ekelhaften Ergebnissen. Rund 49% der befragten Männer gaben an, ihnen wäre das letzte Wort in Entscheidungen wichtig, 34% finden „Handgreiflichkeiten“ gegenüber ihren Partnerinnen okay, um ihnen „Respekt einzuflößen“.
Dieses Rollenbild wirkt sich jedoch nicht „nur“ auf die eigene Beziehung aus, im Gegenteil bekräftigt es ein Geschlechterbild mit klarer Hierarchie, das jeder objektiven Grundlage entbehrt. Es führt zu einer ständigen Naturalisierung der ganz klar menschengemachten Verhältnisse, es gäbe eben Männer- und Frauensachen, ein starkes, rationales und ein schwaches, emotionales Geschlecht. Diese Bilder reproduzieren sich ständig selbst. Neben der Einflüsse aus Kultur und Erziehung, werden die bestehenden Verhältnisse immer wieder zur Legitimation derselben herangezogen. Dass Frauen nachweislich überdurchschnittlich viel in sozialen und deutlich weniger in handwerklichen Berufen arbeiten, wird als Rechtfertigung des deterministischen Rollenbilds genutzt. Dieses wiederum führt dazu, dass weibliche Personen gegen ihren Willen in soziale, sich-kümmernde Rollen und Berufe gedrängt werden und so weiter.
Diese vorherrschenden Geschlechterbilder fördern auch die Besitzansprüche von Männern gegenüber ihren Partnerinnen. Wohin diese Besitz- und Kontrollansprüche im Extremfall führen können, zeigt sich immer wieder am Beispiel von Femiziden. Jeden Tag versuchen Männer mehrfach, (Ex-)Partnerinnen umzubringen, fast jeden Tag gelingt es.
Die Täter geben oft an aus Eifersucht oder Wut über eine vorherige oder anstehende Trennung, ein klarer Beweis für die durch und durch patriarchalen Motive eines solchen Mordes. Die Selbstbestimmung ihrer Partnerin spielt gegenüber dem eigenen Kontrollwunsch keine Rolle, sie töten lieber als die Kontrolle über ihre Partnerin aufzugeben.
Die bürgerlichen Medien bezeichnen solche Femizide meist als „Beziehungs-“ oder „Ehedramen“ oder titeln Geschmacklosigkeiten wie „Mord aus Liebe oder Eifersucht“. Diese „Berichterstattung“ verschleiert die klar patriarchalen und misogynen Hintergründe.
Gewalt an Frauen ist ein Thema, dass einem förmlich ins Gesicht springt. Und sie findet in diesem System sehr viel systematischer und grundlegender statt, als häufig dargestellt. Immer wenn eine Mutter erst nach dem ins Bett bringen ihrer Kinder das erste Mal am Tag sitzt, wenn sie alle paar Monate wieder vor Gericht den Unterhalt einklagen muss. Immer wenn sie ihren Job riskiert, weil die Kita schon wieder wegen Personalmangel geschlossen hat. Gewalt ist die andauernde Lebensrealität arbeitender Frauen in diesem Land, sie verschont sie keine Minute des Tages, dafür muss nicht immer ein gewalttätiger Partner zuhause auf sie warten. Dies kommt jedoch für einen Gro?teil der Frauen noch hinzu. Es ist nicht schwer zu sehen, dass die Hälfte der Bevölkerung neben schlechter bezahlten Jobs, den Großteil der gesellschaftlichen Sorgearbeit übernimmt und am Ende ihres Arbeitslebens, trotz aller Anstrengungen und Mühen, meist in der Altersarmut endet. Allen, die sich auch nur ein wenig mit der Thematik auseinandersetzen, muss klar werden, dass es so wie es ist nicht bleiben kann.
Deswegen muss das System als Gesamttäter verstanden werden. Das macht (proletarische) Männer, die Frauen in Bordellen vergewaltigen, ihre Partnerinnen schlagen oder ihre Karriere vor die ihrer Partnerin stellen nicht weniger zum Täter. Das System ist eben keine direkt handelnde Person. Die Ungleichheit der Geschlechter, die eben kein rein durch Sprache und Diskurs erzeugtes Konstrukt, sondern materielle Grundlage unserer Produktionsweise ist, muss gewaltvoll am Leben gehalten werden, weil nichts daran naturwüchsig ist.
Für unsere Praxis bedeutet das, neben Bildung und Protest gegen Femizide, häusliche Gewalt oder Prostitution, die Grundlage anzugreifen aus der all das erwächst. Fürs Erste heißt das Frauen bilden, organisieren in Organisation und Gewerkschaft und Selbstschutz ausbauen. Jedoch nie als Selbstzweck, sondern immer mit dem festen Ziel: Produktionsmittel zu eintreißen, die Arbeitsteilung aufzubrechen und Reproduktionsarbeit zu vergesellschaften. Keinen Aufbau der neuen Gesellschaft ohne die Hälfte der arbeitenden Kraft!
Rotfront!
Hier gehts zu unserem Aufruf zu Vorabenddemo zum 25.11., Tag gegen Gewalt an Frauen